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Fotografieren: Landschaften - Das Beste rausholen

Die schönsten Landschaftsmotive führen mitunter zu enttäuschenden Fotoergebnissen. Dafür gibt es Gründe, aber auch Mittel und Wege die Abhilfe schaffen können.

Der Landschaftsfotograf hat zwei Seelen in seiner Brust zu vereinen. Einerseits muss er begeisterungsfähig sein und Liebe zur Natur mitbringen. Denn wie anders sollte er ein Auge für die landschaftlichen Schönheiten haben? Andererseits muss er gerade in ­Momenten größter Entzückung kühlen Kopf bewahren können.

Tolles Motiv – schlechtes Foto

Tosende Wildbäche und schroffe Bergwelten, bunte Wiesen und weite Felder: Es sind ­gerade diese überwältigenden Motive, die den Landschaftsfotografen gerne dazu verleiten, die Kamera umgehend zum Auge zu führen und abzudrücken. Das Ergebnis ist dann meistens ernüchternd. Selten, dass das fertige Bild jenes Gefühl wiedergeben kann, das bei der Aufnahme empfunden wurde. In keiner anderen fotografischen Disziplin liegen Hoffnung und Enttäuschung so nahe ­beisammen. Dabei scheint die Gefahr des Misserfolgs mit der Attraktivität einer Landschaft noch zu wachsen. Warum diese Kluft zwischen Wirklichkeit und Abbild?

Die Kamera sieht alles

Der Grund liegt darin, dass das menschliche Auge die Umgebung anders wahrnimmt als das Auge der Kamera. Das menschliche Auge geht, ohne dass uns das im Einzelnen bewusst wird, selektiv vor: Es sieht nur das, was ihm interessant erscheint, und alles andere blendet es automatisch aus. Etwas genauer gesagt: Wir haben zwei verschiedene Blickwinkel: einen bewusst gerichteten, in dem wir nur zwei bis drei Grad sehen und interpretieren, sowie einen unbewussten von nahezu 180 Grad, in dem wir einen allgemeinen Überblick sowie alle Veränderungen wahrnehmen.

Wir erfassen also jede Szene als Panorama, visieren aber nur jene Punkte genau an, die unsere Aufmerksamkeit erregen. Die Kamera verfährt dagegen wie ein minu­tiöses Aufzeichnungsgerät: Sie hält im Bild unerbittlich alles fest, was in ihrem Blickfeld liegt. Auch die nebensächlichen Dinge, die uns während des Auslösens überhaupt nicht aufgefallen sind und nun auf dem fertigen Bild ablenken oder sogar massiv stören.

Alle Sinne im Spiel

Alle Sinne im Spiel

Es kommt hinzu, dass bei unserem Seh­erlebnis auch alle anderen Sinne mit involviert sind. Wir sehen das Meer, und gleich­zeitig hören wir das Rauschen der Wellen, schmecken die salzige Luft und spüren den lauen Wind. Die einzelnen Sinneseindrücke vermengen sich zu einem Gesamteindruck – die Kamera kann dagegen nur einen, nämlich den visuellen Eindruck festhalten. Die besondere Herausforderung für den Fotografen besteht nun darin, allein über die Bildsprache auch alle anderen Empfindungen mit aus­zudrücken. Dazu müssen mehrere Aspekte berücksichtigt werden.

Was löst die Begeisterung in Ihnen aus?

Machen Sie sich klar, was es eigentlich ist, das Begeisterung in Ihnen auslöst. Ist es die Weite der Landschaft oder das satte Grün der ­Wiesen? Ist es die einmalige Lichtstimmung oder der liebliche Bach? Geklärt gehört auch die Frage, ob das, was Sie so begeistert, ­fotografisch wirklich so beeindruckend ist, oder ob Sie womöglich nur das „Opfer“ einer momentanen Gefühlswallung sind.

Markante Details

Manche gehen quasi auf Nummer sicher und machen eine Übersichtsaufnahme. Wer allerdings mit einem einzigen Bild alles sagen möchte, sagt in der Regel gar nichts. Ein knapp gewählter Ausschnitt oder ein ­markantes Detail geben das Typische und ­Besondere einer Landschaft besser wieder als eine verwirrende Fülle von Einzelheiten. Nehmen wir an, Sie wollen einen Bach fotografieren. Die Bildidee ist gefunden, nun heißt es, sie mit der Kamera entsprechend umzusetzen.

Farbe oder Schwarzweiß?

Dazu gehören Fragen geklärt wie: Farbe oder Schwarzweiß? Weitwinkel-, Tele- oder Normalobjektiv? Welcher Abstand? Soll das Licht von vorne, von der Seite oder von hinten kommen? Sind Standort, Zeitpunkt, Perspektive und Bildausschnitt optimal gewählt? Die Aufnahmezeit beträgt ja nur den winzigen Bruchteil einer Sekunde. In dieser kurzen Zeit muss all das eingefangen werden, woran der Maler viele Stunden, ja Tage arbeitet und wofür der Poet viele ­Worte braucht.

Schlechtes Wetter ist reizvoll

Schlechtes Wetter ist reizvoll

Wetterverhältnisse, die wir gemeinhin als schlecht bezeichnen, wie Regen, Schneefall oder Sturm, sind in der Regel gut für den ­Landschaftsfotografen. Die Aufnahme eines Wiesenstücks, das halb im Nebel versinkt und nur schemenhaft zu erkennen ist, erregt im Allgemeinen mehr Aufmerksamkeit als dieselbe Aufnahme an einem klaren Tag. Bewölkte und dunstige Tage eignen sich besonders für den Klassiker aller Landschaftsaufnahmen: den Sonnenuntergang. Denn Wolken und Dunst verhelfen dem ­Himmel zu mehr Farben und machen die Sonnenscheibe weicher. Umgekehrt gilt: Je klarer die Luft zwischen Kamera und Sonne, desto langweiliger, also weißer die Sonne.

Morgens, abends und abseits vom Weg

Wer nur dann zur Kamera greift, wenn ihn wärmende Sonne vor die Haustüre treibt, wer nur dann fotografiert, wenn ihm die ­Wanderung Zeit dazu lässt, wer aus Bequemlichkeit oder falsch verstandener Spontaneität stets von dort aus fotografiert, wo er sich ­zufälligerweise gerade befindet, der darf sich nicht wundern, wenn ihm keine besonderen Aufnahmen gelingen.

Hetzen Sie nicht von einem Aussichtspunkt zum nächsten, sondern nehmen Sie sich Zeit für Erkundungsgänge. Die dankbarsten ­Motive sind nicht immer die auffälligsten; Schönheit ist nicht immer vordergründig. Oft verbergen sich die wahren fotografischen Kostbarkeiten abseits der ­viel begangenen Straßen und Fußwege.

Interessant statt "schön“

Die imposante Gebirgswelt, die seltene ­Blume, der sich gelb verfärbende Herbstwald: Die Landschaftsfotografie bietet viele ­lohnende Motive. Dabei muss es sich nicht ­ausschließlich um solche handeln, die wir ­gemeinhin als „schön“ oder „nett“ oder „beeindruckend“ bezeichnen. Auch von Menschenhand verwüstete Landschaften ­eignen sich für Aufnahmen. Manche fassen den Begriff Landschaftsfotografie ohnehin weiter und zählen auch Industrie- oder Stadtlandschaften dazu.

Kein Landschaftsbild ­ohne Horizont, ohne die Begrenzung, die den erdgebundenen Teil der Landschaft vom ­Himmel trennt. Bei jeder Aufnahme stellt sich daher die Frage: Wie gewichte ich das Verhältnis von Landschaft und Himmel?

5:8-Verhältnis

5:8-Verhältnis

Verläuft die Trennlinie genau in der Mitte, so wird ­damit eine gewisse Ausgewogenheit erzielt, gewöhnlich aber auch Langeweile. Spannender ist, den Himmel nach den Regeln des Goldenen Schnitts entweder im oberen oder unteren Drittel zu platzieren (wobei es sich genau genommen um ein 5:8-Verhältnis ­handelt).

Weist der Himmel ein tiefes Blau oder inter­essante Wolkenformationen auf, so kann es angebracht sein, ihm mehr Platz einzuräumen; vor allem dann, wenn eine ­düstere Stimmung vermittelt werden soll oder der Himmel ohnehin der bildwichtige Teils des Fotos ist. Ein bedrohlicher Gewitterhimmel ist ein überaus lohnendes Motiv. Präsentiert sich der Himmel als eine uniforme helle ­Fläche, so ist er eher an den oberen Rand zu verweisen, es sei denn, es soll ­Monotonie ausgedrückt werden.

Schräger Horizont stört

Nichts stört ein Landschaftsbild mehr als ein schräger Horizont. Es ist deshalb wichtig, die Kamera auf dem Stativ waagrecht auszurichten, was sich mit einer am Zubehörschuh aufsteckbaren Wasserwaage bewerkstel­ligen lässt. Oder Sie nehmen hinterher die nötige Korrektur vor, in Photoshop etwa mit dem Werkzeug "Transformieren“. Ein schiefer Horizont bei einer Meeraufnahme erweckt den Eindruck, als liefe das Wasser zur Seite aus.

Geduld ist gefragt

Die Landschaftsfotografie ist eine Domäne der Großbildkamera. Anders als der Reportagefotograf, der so etwas wie eine gewisse Grundspannung mit in seine Arbeit einbringen muss, da sich jeden Augenblick das ­Entscheidende ereignen kann, nach dem er sucht, kann der Landschaftsfotograf eher mit Muße ans Werk gehen. Die Blumen und ­Bäume laufen ihm ja nicht davon.

Am nächsten Tag wiederkommen

Trotzdem gilt auch für ihn, den Augenblick nicht zu verpassen, wo etwa die Lichtverhältnisse ­optimal sind. Wir wollen es noch einmal be­tonen: Es gibt kaum ein Motiv, das sich so wandelbar zeigt wie eine Landschaft. Bei ­aufgehender Sonne mit ihren zarten Farben präsentiert sie sich anders als im verbrauchten Licht der Mittagszeit, und nochmals ­anders wirkt sie im schwachen Abendlicht. Es gilt also, Geduld zu haben und den richtigen Aufnahmezeitpunkt abzuwarten – und nötigenfalls am nächsten Tag wiederzukommen.

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