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Medizin: Statistik - Zahlen können täuschen

Die neuesten Studienergebnisse zu „Ihrer“ Krankheit klingen beeindruckend? Vorsicht – auch seriöse Statistiken können täuschen, wenn sie nicht richtig interpretiert werden.

    Ziehen Sie eine Diagnosekarte: Das Internet weiß nicht immer die beste Heilmethode (Bild: Rosch)

Wer heute wissen möchte, was gegen Kreuzweh hilft, wie man einen verstauchten Knöchel behandelt oder wofür die ständ­igen Schmerzen im linken Unterbauch ein Symptom sein könnten, dreht den Computer auf und befragt Dr. Google. Der gibt ihm in Sekundenschnelle durchschnittlich eine Million Antworten. Medizinische Informationsangebote im Internet verzeichnen nach den Sexseiten die zweithöchsten Klickraten.

Schiefe Daten

Sich als medizinischer Laie in dem überwältigenden Angebot zurechtzufinden, ist fast nicht möglich. Oft werden durch den Informationswust Erwartungen und Hoffnungen geweckt, aber auch Ängste, Sorgen und nicht zuletzt Zweifel an der Qualität der ärztlichen Betreuung geschürt. Wie kann jemand, der im Berufsalltag nichts mit der Auswertung von Wissenschaftsdaten zu tun hat, überprüfen, ob die in den Medien gebotene Information seriös ist? Wie kann man als Patient wissen, ob die Angaben über die Behandlungsmethoden zu einer bestimmten Erkrankung Zukunftsmusik, Esoterik oder wissenschaftlich hieb- und stichfest sind?

Wissenschaftlich anerkannte Studien

Bevor ein neues Arzneimittel oder bestimmte Medizinprodukte wie etwa ein Herzschrittmacher auf den Markt kommt, muss eingehend und an vielen Testpersonen geprüft werden, ob es wirkt und welche unerwünschten Nebenwirkungen es hat. Doch nicht nur das. Den Sozialversicherungen dienen die Ergebnisse dieser Studien als Grundlage für die Entscheidung, ob sie die Kosten für ein Medikament oder ein Medizinprodukt erstatten. Dazu muss abgesehen von seiner Wirkung auch ein Nutzen nachgewiesen sein. Wenn also zum Beispiel eine Substanz zwar ge­gen Bluthochdruck hilft, aber gleichzeitig bei ebenso vielen Menschen Krebs ­erzeugt, dann hat sie keinen Nutzen. Unter den Teppich gekehrte Daten über Wirkung und Nebenwirkungen eines Medikaments bringen auch die praktizierenden Ärzte in ein Dilemma.


Welche Möglichkeiten Patienten zur Verfügung stehen, die Verantwortung für ihre Gesundheit wahrzunehmen, darüber informiert das KONSUMENT-Buch Umgang mit Ärzten.

Überreden statt informieren

Versteckspiel mit Ergebnissen

Zahlen spielen in der Medizin eine wichtige Rolle. Es werden nicht nur die Lebenserwartung und die Häufigkeit von Krankheiten damit beschrieben, sondern auch Grenzwerte festgelegt (beispielsweise, welcher Blutdruck als normal anzusehen ist), Dosierungen von Medikamenten verordnet, und mithilfe von Zahlen ist es möglich, den Nutzen oder Schaden einer Behandlung zu verdeutlichen. Reduziert etwa die Mammografie tatsächlich das Risiko, an Brustkrebs zu sterben? Wie unterschiedlich die Ergebnisse wissenschaftlich anerkannter Studien interpretiert werden können, zeigt das folgende Beispiel.

Sie haben eine Einladung zum Brustkrebs-Screening erhalten. Aufgrund widersprüchlicher Meldungen in den Medien bezweifeln Sie dessen Nutzen und wollen nicht hingehen. Ihr Arzt rät Ihnen aber dringend dazu und konfrontiert Sie mit folgender Zahl: Früherkennung durch Mammografie reduziert das Risiko von Frauen, an Brustkrebs zu sterben, um etwa 25 Prozent.

Beeindruckende Zahlen

Klingt doch beeindruckend – oder? Entnommen hat er die Zahl einer Studie, aus der hervorging, dass von je 1.000 Frauen, die zehn Jahre hindurch regelmäßig am Screening teilgenommen hatten, etwa 3 an Brustkrebs starben, während es 4 Frauen von je 1.000 in jener Kontrollgruppe waren, die nicht zur Mammografie gegangen waren.

Wie viele „Gerettete“ sind das also? Richtig, es ist eine von 1.000 untersuchten Frauen – das sind 0,1 Prozent. Um wie viel beein­- dru­ckender klingen da doch die „25 Prozent Risiko-Reduktion“. Wohlgemerkt: Richtig sind beide Zahlen.

Überreden statt informieren

Viele Informationen, die Patienten erhalten, sind leider nicht darauf ausgerichtet, wirklich aufzuklären. Vielmehr sollen sie überredet werden, das vermeintlich Richtige zu tun. Die Interessen dahinter können finanzieller Natur sein, beispielsweise vonseiten der pharmazeutischen oder medizintechnischen Industrie. Oft sind aber auch Politiker, Organisationen oder Ärzte dermaßen von einer vermeintlich gesundheitsfördernden Aktion überzeugt, dass sie diese mit allen Mitteln durchsetzen wollen. Manchmal geht das eine mit dem anderen Hand in Hand.

Wahrheit bleibt auf der Strecke

Dann bleibt der Wahrheitsgehalt einer Information zuweilen auf der Strecke. Beste Beispiele: die Vogelgrippe 2006 und die Schweinegrippe drei Jahre später. Da wurden in Fernseh­diskussionen Schreckensszenarien mit Tausenden Toten erörtert, von Gesundheits­behörden Millionen Atemschutzmasken angekauft und ebenso viele Impfstoffdosen und Grippemittel. Ein paar Monate später stellte sich heraus: Alles halb so wild.

Wissen wirkt positiv auf die Gesundheit

Gesundheitskompetenz ist gefragt

Echte Beschlagenheit in medizinischen Belangen ist mehr als das Wissen, wo man sich über Gesundheitsthemen informieren kann. Sie befähigt dazu, im täglichen Leben Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die eigene Gesundheit auswirken. Das Konzept der „Health Literacy“ (Gesundheitskompetenz) stammt ursprünglich aus dem angloamerikanischen Raum. Sie ist sozusagen das, was den mündigen Patienten ausmacht: Er findet sich im Gesundheitssystem zurecht, nimmt an Gesundheitsförderungsprojekten teil, kann, wenn er chronisch krank ist, besser damit umgehen, weiß im akuten Krankheitsfall, wohin er sich wenden soll, und versteht, was der Arzt ihm sagt. Viele Studien haben gezeigt, dass Patienten sich für eine andere Behandlung entschieden hätten, wenn ihnen bessere Informationen über Nutzen und Risiken der verschiedenen Optionen zur Verfügung gestanden wären.

Wissen macht stark und gesund

In Österreich hat das Konzept der Gesundheitskompetenz zwar noch einen geringen Stellenwert, doch verschiedene Institutionen haben Projekte gestartet, um den Menschen seriöses Gesundheitswissen nahe­zubringen. Beispiels­weise hat das Grazer Frauengesundheitszentrum im Zuge der fünftägigen Fortbildung „Wissen macht stark und gesund“ darüber aufgeklärt, wie Erkenntnisse im Zusammenhang mit Themen wie Hormontherapie in den Wechseljahren, Mammo­grafie-Screening oder HPV-Impfung gewonnen und kritisch beurteilt werden.

Kompetente Versicherte, Patienten und Konsumenten

"Das Gesundheitswesen braucht kompetente Versicherte, Patienten und Konsumenten“, sagt die Geschäftsführerin, Mag. Sylvia Groth, und vergleicht die Entscheidungs­findung in Sachen Gesundheit mit einem Autokauf. Da lässt man sich von verschiedenen Anbietern beraten, überlegt, was einem am wichtigsten ist, stellt Vergleiche zu Preis und Qualität an und wählt schließlich das, was den eigenen Ansprüchen am meisten entspricht. „Wenn es um die Gesundheit geht, sind solche Fähigkeiten mindestens genauso wichtig“, sagt Groth. "Denn die Folgen von Entscheidungen spüren wir hier am eigenen Leib.“

Buchtipp: "Umgang mit Ärzten"

Der mündige Patient: selbstständig und kompetent soll er sein. Doch auf welche Informa­tionen kann der medizinische Laie vertrauen? Wie findet er überhaupt den richtigen Arzt? Unser Buch gibt Hilfestellung und zeigt, welche Möglichkeiten bestehen, die (Mit-)Verantwortung als Patient konstruktiv wahrzunehmen.

www.konsument.at/aerzte

Aus dem Inhalt

  • Seriöse Information erkennen
  • Den richtigen Arzt finden
  • Was hilft bei der Therapieauswahl?
  • Arztgespräch und Spitalsaufenthalt
  • Der Nutzen von Selbsthilfegruppen
  • Hilfe bei Behandlungsfehlern

132 Seiten, 14,90 € + Versand

KONSUMENT-Buch: Umgang mit Ärzten (Bild:VKI)  

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