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Flugreisen: Klimatickets als private Buße - Moderner Ablasshandel

Mit reinem Öko-Gewissen das Flugzeug benutzen: Zu diesem Zweck bieten einige Organisationen sogenannte Klimatickets an, mit denen der dabei verursachte CO2-Ausstoß kompensiert werden kann.

Flugverkehr boomt  

Andere Branchen mögen von solchen Zahlen nur träumen. Um 120 Prozent hat der Flugverkehr in Österreich seit 1990 zugenommen, und ein Ende des Höhenflugs ist nicht in Sicht. Eine einzige Erfolgsgeschichte, könnte man meinen.

Ganz anders sieht die Sache freilich aus, wenn man sie unter Umweltschutzgesichtspunkten betrachtet. In dem Fall muss man von einer geradezu beängstigenden Entwicklung sprechen. Flugzeuge gehören nämlich mit ihrem gewaltigen Kohlendioxid-(CO2)-Ausstoß zu den großen Klimakillern, vor allem deswegen, weil "CO2 in der Atmosphäre 2,7-mal schädlicher ist als in Bodennähe", wie Wolfgang Mehl, Geschäftsführer von Klimabündnis Österreich, betont.

Eisberge schmelzen, ganze Länder versinken im Wasser, fruchtbare Böden veröden – dieses Horrorszenario prophezeien Wissenschaftler, wenn wir nicht umgehend den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch einschränken.

Ausnahme für Fluggesellschaften

Die Gefahr ist erkannt, und die Politik setzt Gegenmaßnahmen, doch just der Flugverkehr bleibt dabei ausgespart. Anders als für Auto oder Bahn wird der Kraftstoff für Flugzeuge im internationalen Verkehr nicht versteuert – ein entsprechendes Übereinkommen aus dem Jahr 1944 gilt immer noch und sichert den Fluggesellschaften einen kaum zu erklärenden Sonderstatus. Auch im Kyoto- Protokoll zum Umweltschutz findet sich kein Wort zum Flugverkehr. So kommt es, dass ein Flug von Wien nach Berlin kaum teurer ist als eine einfache Taxifahrt.

Das freut die Lust- und Geschäftsreisenden – einerseits. Andererseits bereitet es vielen von ihnen auch zunehmend ein schlechtes Gewissen, bedeutet doch zum Beispiel ein Flug von Wien nach Thailand, dass pro Passagier immerhin rund sechs Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen werden.

 

Klimaticket

Aber wie soll man sonst ans andere Ende der Welt kommen? Nun offerieren einige Anbieter eine Möglichkeit, wie man Flug und reines Öko-Gewissen in Einklang bringen kann, nämlich mit einem Klimaticket. Das Konzept wurde 1997 von der Firma Carbon Neutral Company aus Großbritannien entwickelt: Der Passagier zahlt freiwillig einen Aufpreis für die während des Fluges verursachten Treibhausgase. Mit diesem Geld werden Projekte vornehmlich in Entwicklungsländern unterstützt, die genau diese ausgestoßene CO2-Menge einzusparen helfen – etwa dadurch, dass in Indien umweltschädliche Dieselgeneratoren durch Biomasse-Kraftwerke ersetzt oder in Madagaskar Windparks errichtet werden. Im Kern handelt es sich hierbei jeweils um Kompensationsgeschäfte.

Hohe Zuwachsraten

Was vor zehn Jahren begann, erfreut sich inzwischen ähnlich großer Steigerungen wie der Flugverkehr selbst: Immer mehr Organisationen drängen auf den Markt und bieten entsprechende Klimatickets oder Umweltschutz-Zertifikate an. Darunter befindet sich keine originär österreichische Initiative, doch seit dem Vorjahr gibt es die ersten Niederlassungen ausländischer Anbieter.

Die Klimaspende funktioniert recht einfach: Man geht auf die Internet-Seite von einem der Anbieter (das kann auch jeder beliebige Anbieter im Ausland sein), gibt die Flugroute ein, mitunter mit einigen zusätzlichen Angaben, ob es sich nämlich um einen Linien- oder Charterflug, um die Economy- oder Business-Class handelt, und der Emissionsrechner ermittelt sodann den Umweltschaden und den daraus resultierenden „Kompensationsbetrag“, der mit Kreditkarte bezahlt werden kann.

In Kooperation mit einigen Airlines

Wo es nicht um einen verpflichtenden Aufpreis, sondern um eine freiwillige Leistung geht, treten einzelne Fluggesellschaften bereitwillig als Partner auf. Sie verweisen auf ihren Seiten auf die Möglichkeit der Klimaspende; die einen eher dezent, andere dagegen geradezu offensiv, wie beispielsweise Easy Jet, die die entsprechende Information in ihren Buchungsprozess integriert hat. Mittlerweile kooperieren einige Airlines mit Umweltschutzorganisationen: So empfiehlt British Airways das Unternehmen Climate Care in Oxford. Zum Flugticket kann, ganz einfach, in diesem Fall auch gleich das Klimaticket mit gelöst werden. Diesen Service bieten inzwischen auch einige Reisebüros und -veranstalter an. Das Grazer Unternehmen "Weltweitwandern" geht sogar so weit, dass es für jeden gebuchten Flug seiner Kunden freiwillig die Hälfte des Klimaschutzbeitrags an "atmosfair" überweist.

atmosfair, myclimate & Co

Der Klimaschutz-Aufpreis differiert je nach Anbieter. Ein Flug von Wien nach Ankara (hin und retour, Economy Class) kostet einmal 15 Euro (bei atmosfair) in einem anderen Fall (ClimatePartner) 27 Euro. Die Abweichungen rühren nicht nur daher, dass der Preis für die Tonne CO2 jeweils verschieden ist, sondern es werden auch unterschiedlich strenge Kriterien für die Schadensberechnung zugrunde gelegt – es gibt noch kein Standard-Rechenprogramm.

Bei der Lufthansa, die das Geld ihrer zahlungswilligen Passagiere an myclimate weiterreicht, werden für die angegebene Strecke gar nur 8 Euro verlangt. Die Umweltschutzorganisationen arbeiten mit einem Multiplikator (RFI Factor – Radiative Forcing Index) für die Kohlendioxidbelastung (üblich ist ein Faktor 2 bis 4), um die tatsächliche Klimaschädigung in der Atmosphäre abzubilden – das Flugunternehmen berechnet lediglich die Kohlendioxid-Emission in Bodennähe.

Goldstandard

Wichtiger als die Höhe des Beitrags ist vielen Spendern ohnehin, dass das Geld auch wirklich einem guten Zweck zugute kommt und nicht zu einem Großteil in die Verwaltung einer Organisation fließt – diese Sicherheit hat der Kunde eher bei Non-Profit-Organisationen. Er sollte weiters vor allem darauf achten, dass die Klimaschutzprojekte zumindest den CDM-Standard erfüllen. CDM steht für Clean Development Mechanism (auf Deutsch: Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung), dieses Zertifikat wird von der UNO vergeben.

Noch besser ist der Goldstandard, da er darüber hinaus auch das Kriterium der sozialen Nachhaltigkeit berücksichtigt. Ein Ranking der Tufts University in den USA von 13 Klimaschutzagenturen sieht zwei Organisationen an der Spitze: Neben der gemeinnützigen atmosfair ist dies die gewinnorientierte Firma climate friendly aus Australien.

Moderner "Ablasshandel"

So nützlich die freiwillige Leistung sein kann und so edel sie anmutet, sie ist nicht unumstritten. Macht sie doch letztlich aus dem Umweltverschmutzer einen Wohltäter. Kritiker sprechen daher auch von modernem "Ablasshandel", mit dem Unterschied, dass die Sünder früher zumindest ein reuevolles "Nie wieder" versprechen mussten. Das braucht der Flugpassagier von heute nicht mehr zu tun. Morgen steigt er wieder in den Flieger, mit dem reinsten Umwelt-Gewissen – weil er ein Klima-Ticket gekauft hat. Die Klimaschädigung wird munter fortgesetzt, das Verhalten nicht geändert.

Das persönliche Büßertum kann gar als kontraproduktiv interpretiert werden – insofern nämlich, als Druck von den politischen Stellen genommen wird, für notwendige und allgemein verbindliche Regelungen zu sorgen.

CO2-Emission im Vergleich

Flugreisen: Kompetent mit "Konsument"

  • Klimakiller. Das Fliegen ist besonders energieintensiv und belastet die Umwelt stark. Der Beitrag zur Erderwärmung ist höher als bei allen anderen Verkehrsmitteln.
  • Kompensationsgeschäft. Klimatickets helfen, die durch den Flug verursachten Emissionen an einem anderen Ort der Welt durch entsprechende Umweltschutzmaßnahmen einzusparen.
  • Besser gar nicht fliegen. Der bessere Beitrag zum Klimaschutz ist, erst gar nicht zu fliegen. Über kurze Distanzen die Bahn benutzen, lieber einmal eine mehrwöchige Fernreise unternehmen als ein paar kürzere. Dann ist auch der Erholungseffekt größer.

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