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Alzheimer: Interview mit Prof. Dal-Bianco - "Was dem Herz gut tut, tut auch dem Hirn gut"

Frühdiagnosen sind schwierig, die Behandlungsmöglichkeiten beschränkt, der Betreuungsaufwand enorm und Heilung ist derzeit noch nicht in Sicht: Alzheimer ist die häufigste Demenzart. Ungesunder Lebensstil und vor allem die höhere Lebenserwartung tragen dazu bei, dass die Zahl der Betroffenen dramatisch ansteigt. - Hier ein Interview mit dem Alzheimer-Experten Univ.Prof. Dr. Peter Dal-Bianco.

KONSUMENT: Vor kurzem ließ eine Wiener Firma mit der Meldung aufhorchen, per Zufall habe sie eine Substanz entdeckt, mit der sich der Krankheitsverlauf von Alzheimer stabilisieren ließe. Grund zu berechtigter Hoffnung oder nur Marketing-Offensive zur Gewinnung von Investoren?

Alzheimerexperte Univ.Prof.Dr. Peter Dal-Bianco im KONSUMENT-Interview  
Alzheimer-Experte
Univ.Prof. Dr.
Peter Dal-Bianco

Dal-Bianco: Das kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden. Ich kann zunächst nur berichten, was ich über die Studie gelesen habe. Die Studienergebnisse selbst sind noch nicht publiziert. Danach war es eine fünfarmige Therapiestudie, mit dem Ziel, auf immuntherapeutischer Basis die Alzheimerprogression zu modifizieren, nämlich durch Entfernung von Beta-Amyloid, jener plaquesbildenden Substanz, die unter anderem für das Krankheitsgeschehen verantwortlich gemacht wird.

Die Studie hatte drei Dosis-Arme und zwei Placebo-Arme, das heißt, drei Mal kam ein Verum, zwei Mal ein Scheinmedikament zum Einsatz. Der klinische Erfolg blieb in den drei Dosis-Armen und in einem der Placebo-Arme aus. In dem anderen Placebo-Arm – mit einer "trüben Lösung" als Scheinmedikament – zeigte sich ein klinischer Effekt. Die Studie umfasste etwa 300 Personen, wobei sich etwa 60 Patienten in dem Arm mit der trüben Lösung befanden.

Nun muss analysiert werden, woraus diese trübe Lösung besteht und eine randomisierte Kontrollierte Studie (RCT) durchgeführt werden. Entweder handelt es sich hier um einen glücklichen Zufallsbefund – was zu hoffen ist - oder um einen Fehler der kleinen Zahl und / oder der kurzen Beobachtungszeit. Natürlich: Vielverheißende Aussagen können bekanntermaßen "Big Player" der Pharmaindustrie und  Shareholder motivieren, weiter zu investieren.

KONSUMENT: Bei 47 Prozent der Behandelten, so heißt es von Seiten des Unternehmens, sei es gelungen, den kognitiven Abbau aufzuhalten – das heißt aber, dass bei immerhin jedem zweiten Versuchsteilnehmer ein Effekt ausblieb. Was soll daran so verheißungsvoll sein?

Dal-Bianco: Diese Quote wäre sehr gut, wenn sie mittels RCT (randomisiert kontrollierte Studie) bewiesen würde. Über den klinischen Erfolg hinaus, meldet die Firma, sei es außerdem zu keiner weiteren Atrophie, also keinem weiteren Gewebsschwund im Hippocampus gekommen, jener Region im Gehirn, die für das primäre Gedächtnis sehr wichtig ist. Das sei strukturtechnisch über MRT (Magnetresonanztomographie) nachgewiesen worden. Wird auch das bestätigt, wäre das absolut sensationell – auch wenn sich dieser Effekt nur bei jeder zweiten Person einstellen würde.

KONSUMENT: Heißt das auch, dass wir per Zufall eher den Geheimnissen des Hirns auf die Spur kommen als durch gezielte Forschung?

Dal-Bianco: Mehr als die Hälfte der innovativen Errungenschaften (nicht nur) in der Medizin beruhen auf Zufall! Aber: Das Zufallsergebnis muss erkannt und richtig gedeutet werden!

KONSUMENT: Alzheimer  ist nicht heilbar. Noch ist kein Mittel gefunden, das den fortschreitenden kognitiven Abbau aufhalten könnte. Welchen Sinn hat dann überhaupt die aufwendige Untersuchung der Gedächtnisfunktionen, die Sie an Ihrer Spezialambulanz anbieten?

Dal-Bianco: Viele denken bei einer Gedächtnisstörung sofort an Alzheimer. Doch die Ursache kann etwa auch in einer Fehlfunktion der Schilddrüse liegen. Es gibt eine Menge an internen, psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen, die als Hauptsymptom Gedächtnisbeeinträchtigung haben und nicht alzheimerbedingt sind. Natürlich ist die Alzheimerkrankung eine häufige und damit wichtige Ursache, aber es kommen auch andere Ursachen in Frage, Ursachen, die heilbar oder zumindest behandelbar sind – und in diesem Fall ist die kognitive Beeinträchtigung oft reversibel. Also: Die Abklärung ist wichtig, nicht, um die Diagnose "Alzheimer" schwarz auf weiß zu haben, die im Übrigen  nur zu etwa 90 Prozent sicher ist, sondern auch um alle anderen möglichen Ursachen zu prüfen.

"Wie sagen Sie es dem Patienten?"

Wie vermitteln Sie Ihren Patienten die Diagnose Alzheimer?

Ich hüte mich, nach der Erstuntersuchung oder auch im Rahmen der Befundbesprechung, außer bei Eindeutigkeit, eine derart schwerwiegende Diagnose sogleich mitzuteilen, da, wie gesagt, ein Unsicherheitsfaktor in der klinischen Diagnose liegt. Erst nach einer Verlaufsbeobachtung von etwa einem Jahr meine ich, eine sichere Aussage machen zu können. Man darf nicht vergessen: Bei Alzheimer fehlen uns jene biologischen Marker, die, wie etwa bei HIV, die Krankheit eindeutig beweisen.

Wenn Sie sicher sind, es ist Alzheimer, wie sagen Sie das dem Patienten?

Ich kläre nicht erst die Angehörigen und dann den Patienten auf – oder umgekehrt. Ich lege Wert auf Ehrlichkeit und Offenheit. Niemand soll das Gefühl haben, da geschieht etwas hinter dem Rücken. Die Diagnose teile ich also dem Patienten und den Angehörigen in einem gemeinsamen Gespräch mit. Meistens wurde Alzheimer ja schon vermutet. Es ist eine schwerwiegende Diagnose und wird mit entsprechender Betroffenheit aufgenommen. Das Recht auf Wahrheit hat der Patient. Aber auch – NUR mit dessen Einverständnis – die Angehörigen und weitere Lebensbegleiter.

Kommt es mitunter auch vor, dass die Diagnose mit Erleichterung aufgenommen wird, in dem Sinn: Endlich wissen wir, was Sache ist,  endlich hat das Problem einen Namen?

Es kommt darauf an, in welchem Stadium der Vergesslichkeit sich der Patient befindet. Ist die Krankheit bereits fortgeschritten, kann sich auch Erleichterung breit machen. Ganz am Beginn tun sich Betroffene mit der Diagnose schwerer.

Alzheimer ist jene Krankheit, vor der sich laut Untersuchung einer Krankenversicherung die Menschen am meisten fürchten. Zu Recht?

Die Medien malen Alzheimer mitunter als Schreckgespenst an die Wand. Wir sollten Alzheimer differenzierter betrachten, ähnlich wie die Krebserkrankungen. Wie dort gibt es auch bei Alzheimer ganz unterschiedliche Verlaufsformen. Bei manchen Patienten gibt es lange Stabilität im guten Sinn. Bei anderen kommt es zu einer raschen Symptomzunahme. Der individuelle Verlauf lässt sich kaum voraussagen. Man sagt, bei Frauen verläuft die Erkrankung rascher als bei Männern. Und für Hochgebildete ist eher ein steiler Verlauf typisch –  denn lange Zeit können diese ihr Defizit durch ausreichende Reserven kompensieren, bis dann auf einmal die Erkrankung offenbar wird.

Den Betroffenen nicht entwerten und nicht bevormunden

Kennen Sie auch Beispiele eines geglückten Lebens mit Alzheimer?

Was mir auffällt, ist, dass sich lebenslange Partnerschaften ändern, notgedrungen. Da werden alte Rechnungen beglichen, da kommt es bisweilen auch zu einer Art Racheverhalten von Seiten der Betreuenden. Doch es gibt auch den umgekehrten Fall: Über die Krankheit kommen sich die Partner wieder näher und erleben ein inniges Zusammensein, ein so inniges, wie vielleicht nie zuvor in ihrem Leben. Das hängt jeweils von der Psychodynamik der Betroffenen ab, auch von ihrem gemeinsamen Erlebnisvorspann.

Alzheimer ist eine fortschreitende Erkrankung, die der Arzt nicht stoppen kann. Ist der behandelnde Arzt also machtlos?

Der Arzt wird zuerst eine sorgfältige Diagnose machen, kann Medikamente verschreiben, die symptomlindernd wirken, sowohl im kognitiven wie auch im Verhaltensbereich. Dazu kommt die ärztliche Begleitung: Die Aufklärung der Betreuenden, welche Fehlreaktionen, welches Fehlverhalten im Umgang mit dem Patienten möglichst zu vermeiden ist. Genauso sollte dem Patient gesagt werden, welches Riesenglück er hat, zu Hause von lieben Menschen versorgt zu werden und nicht in einer Institution leben zu müssen – und das wird auch meistens verstanden.

Welche Fehler sind es, die Betreuende häufig machen?

Ein Beispiel: Die Betreuerin eines Patienten hatte die fixe Vorstellung, dass auf ein Honigbrot Butter gehört. Der Patient wollte aber keine Butter. So war das jeden Morgen ein Streitpunkt zwischen beiden, und der Tag war getrübt. Ein häufiger Fehler ist das Zurechtweisen, Bevormunden und Entwerten des Betroffenen. Ich rate den Betreuenden, dem kranken Partner lieber "W"-Fragen zu stellen - Wann war das? Wo war das? Wie? Wer? Warum? statt dauernd maßzuregeln. 

Den "verkalkten" Menschen, der eigen ist, kannten schon frühere Generationen. Früher wurde er durch die Familie aufgefangen – heute kommt er ins Heim. Ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft?

Ich kann nur für Österreich sprechen und da habe ich den Eindruck gewonnen, dass Menschen sehr wohl bereit sind, Betreuung zu übernehmen. Womit sie sich schwer tun und was oft der Grund für eine Heimeinweisung ist, sind jene Verhaltensstörungen, zu denen demente Menschen, vor allem im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit neigen, die von Beschimpfung bis zu körperlicher Gewalt reichen können. Diese Verhaltensstörungen werden vom Partner meist nicht akzeptiert, auch wenn das Paar schon 50 Jahre zusammen ist. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Art der Gewalt kaum angesprochen wird – hier muss der Arzt nachfragen. Er kann mit Medikamenten helfen.

Nach meiner Beobachtung hier in Wien und Umgebung haben die Menschen ein großes Herz. Sie sind betreuungs- und pflegebereit. Wir sollten diesen mit größter Wertschätzung und Unterstützung begegnen. Leider geschieht das nicht immer. Da wird aufgrund von Gutachten, die das gute Fassadenverhalten eines Patienten nicht erkennen, nicht jene Pflegegeldunterstützung gewährt, die für die weitere Betreuung zu Hause notwendig wäre. Da werden Betreuende bisweilen auch so hingestellt, als wollten sie dem Sozialstaat etwas wegnehmen. Das ist beschämend und verletzend für die Betreuenden und höchst kontraproduktiv für das Budget dazu – denn jeder Tag zu Hause bedeutet ein Tag weniger in einer Pflegeinstitution! Die Betreuung zuhause bedeutet außerdem für die Betroffenen meist bessere Lebensqualität!

Den Job für die Pflege aufgeben?

Die Betreuung eines dementen Angehörigen ist anstrengend, bis hin zur Aufgabe des eigenen Lebensrhythmus. Kann sie aber auch eine Bereicherung darstellen, im Sinne einer weiteren Persönlichkeitsentwicklung?

Absolut. Am Anfang sind oft Widerstände, aber dann wird die Betreuung und Pflege oft gut und vielleicht auch gerne gemacht. Wenn der demenzkranke Partner verstirbt – nicht an Alzheimer, sondern an einer anderen Erkrankung – dann kann der zurückgelassene Betreuende in eine Lebenskrise geraten. In eine Sinnkrise.

Ein Jungvater, der in Karenz geht, um sich ganz der Erziehung seines Kindes zu widmen, wird heute nicht mehr scheel angeschaut, sondern genießt große Anerkennung. Wer in Pflegekarenz geht, um seine demente Mutter zu pflegen, wird eher bemitleidet. Warum?

Einsatz mit positiver Perspektive, wie bei einem Kind, wird ganz anders empfunden als die Unterstützung eines Demenzpatienten. Das ist der eine Aspekt. Der andere ist, dass es Betreuende dann oft sehr schwer haben, in ihren angestammten Beruf zurückzufinden. Ich kenne einige Beispiele, wo sehr gute und sehr herausfordernde Jobs in der Privatwirtschaft der Pflege halber aufgegeben wurden – für immer, wie sich später herausstellte.

Seit mehr als 20 Jahren leiten Sie die Gedächtnisambulanz am AKH. Wie hat sich im Laufe dieser Zeit Ihr Bild von Alzheimer verändert? Welche neuen Erkenntnisse sind in der Zwischenzeit dazugekommen?

Wir haben diagnostische Fortschritte gemacht. Besonders in der Bildgebung des Gehirns, sowohl strukturell als auch funktionell. Nicht zuletzt sind wir der Antwort ein Stück näher gekommen, wie das Gedächtnis überhaupt funktioniert, im neurophysiologischen und neuropsychologischen Sinne. Als ich 1987 begonnen habe, mich auf Gedächtnisstörung und Demenz zu spezialisieren, gab es noch überhaupt kein Medikament gegen Alzheimer. Seit über 15 Jahren ist zumindest eine symptomatische Therapie verfügbar. Aufgrund der Ergebnisse einer Alzheimertherapiestudie, die ich im AKH Wien in den Jahren 1987-89 machen und die Ergebnisse im Hauptverband der Sozialversicherung vorstellen durfte, wurde in Österreich weltweit das erste Antidementivum "Galantamin" zugelassen und therapeutisch eingesetzt. Kurz später folgte in den USA "Donepezil" nach.

Die Ursache von Alzheimer ist bisher nicht bekannt. Umso zahlreicher sind die unterschiedlichsten Theorien. Welche Erklärung haben Sie?

Meiner Meinung nach ist Alzheimer zu einem Gutteil eine genetische Geschichte. Wie sehr die Epigenetik, also der Einfluss unserer Lebenswelt auf unser Genom (Bauplan) eine Rolle spielt, weiß man noch zu wenig. Wir haben ja einen dynamischen Bauplan mitbekommen, der je nach Einfluss von außen modifiziert werden kann.

Kann man sich vor Alzheimer schützen?

Nach heutigem Kenntnisstand kann man sagen: Alles, was dem Herz gut tut, tut auch dem Gehirn gut. Die Empfehlung lautet daher: Bluthochdruck und Diabetes mellitus erkennen und behandeln,  Rauchen und Alkohol vermeiden, erhöhte Blutfette normalisieren und Nierenfunktion prüfen. Dazu kommen Lebensstilempfehlungen: soziale Kontakte pflegen, Bewegung machen und mediterrane Kost bevorzugen – also Fisch, Salat und viel Gemüse essen.

Zur Person von Prof. Dal-Bianco

Dr. med. Peter Dal-Bianco  geb. 1951 in Innsbruck  ist seit 1982 Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Wien und  Univ. Prof. für Klinische Neurologie an der Medizinischen Universität Wien, wo er 1987 am AKH die erste Österreichische Spezialambulanz für Gedächtnisstörungen an der Universitätsklinik für Neurologie aufbaute. Sein Forschungsgebiet umfasst altersassoziierte Erkrankungen des zentralen Nervensystems, mit klinischem Schwerpunkt Gedächtnisstörungen, Alzheimer-Krankheit und andere Demenzformen. Er ist Mitglied nationaler und internationaler Fachgesellschaften, hat in zahlreichen nationalen und internationalen Fachzeitschriften publiziert und ist Präsident der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft. Spezielle klinische Forschung mit bildgebenden Verfahren betrieb er am Max-Planck-Institut für neurologische Forschung in Köln (PET-Unit) bei Univ. Prof. Dr. W.D. Heiss. 

Buchtipp: "Alzheimer"

Jede Zeit hat ihre Krankheit. Heute ist das sicherlich Alzheimer - das schleichende Vergessen. Vor keiner Erkrankung haben die Menschen mehr Angst. Wir klären über diese und andere Formen von Demenz auf. Wir liefern Hintergründe und Tipps, lassen Experten und Betroffene zu Wort kommen und erinnern daran, dass auch ein Mensch mit Alzheimer durchaus glücklich sein kann.

www.konsument.at/alzheimer

Aus dem Inhalt

  • Verlauf einer Alzheimererkrankung 
  • Therapiemöglichkeiten 
  • Betreuung und Pflege 
  • Rechte der Betroffenen 
  • Hilfe und finanzielle Unterstützung

Zweite, überarbeitete Auflage 2017;  240 Seiten, 19,60 € + Versand

 KONSUMENT-Buch: Alzheimer 

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