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Schuldnerberatung - Wenn der Hut brennt

Wo Hochverschuldeten aus der Misere geholfen wird.
Das sieht nicht gut aus: Die erste Klientin an diesem Tag spritzt anscheinend den fix vereinbarten Termin. Punkt 8.30 Uhr war für sie vorreserviert, die akademische Viertelstunde Verspätung ist bereits vorbei, und von Frau R. ist weder etwas zu hören noch zu sehen. „Diese Dame hat offenbar den Ernst der Lage noch nicht ganz erfasst“, meint Schuldnerberater Alexander Maly gelassen. Nach gut elf Jahren Erfahrung kennt er seine Pappenheimer. Er weiß, irgendwann meldet sich jeder von ihnen wieder, und dann haben die meisten ihre ausweglose Situation bereits so satt, dass sie mit ganzem Engagement daran arbeiten, aus der belastenden Situation herauszukommen. Das ist dann nur mit Hilfe von professionellen Schuldnerberatern möglich. Über ganz Österreich verteilt, versuchen sie ihre Klienten dabei zu unterstützen, einen Weg aus dem Schuldenberg zu finden.

Die ersten Schritte sind die schwierigsten

An Zulauf mangelt es Maly und seinen Kollegen in der Schuldnerberatung der Stadt Wien nicht. Monat für Monat finden sich rund 70 Neuzugänge ein, die einen persönlichen Termin bei einem Berater erhalten. Interessenten gibt es noch mehr: Jeden Dienstagvormittag findet zunächst ein Sammeltermin statt, an dem gut 40 bis 50 mehr oder weniger verschuldete Personen erfahren, was sie von der Schuldnerberatung erwarten können und was sie selbst zu ihrer Entschuldung beitragen müssen.

Finanzielle Unterstützung gibt es von den rund 25 „Bevorrechteten Schuldnerberatungsstellen“ samt Regionalstellen keine – aber dafür eine Schritt-für-Schritt-Hilfestellung, damit der mühsame Weg zurück in ein schuldenfreies Leben überhaupt wieder vorstellbar wird. Der erste Schritt ist, überhaupt einmal zum Einführungstermin zu kommen; der zweite besteht darin, sich einen Termin mit dem Berater auszumachen und diesen auch wahrzunehmen. „Wenn diese zwei Hürden einmal genommen sind“, meint Alexander Maly, „ist schon viel getan!“ Denn offensichtlich wollen sich viele Schuldner lange nicht eingestehen, wie dramatisch ihre Situation ist.

Frau R. hat das offenbar in letzter Minute doch noch getan – und erscheint mit einer halben Stunde Verspätung. Bei ihren Schulden ist der Verzug noch weitaus deutlicher: 1992 nahm sie einen Kredit über 150.000 Schilling auf, um für sich und ihre drei Kinder eine anständige Wohnung zu finden. Mittlerweile hat sich viel ereignet: Die Kinder sind nahezu alle flügge, der damalige Mann kümmert sich kaum noch um seine Familie, und der Kreditbetrag ist auf stolze 360.000 Schilling angewachsen. „Ich gebe ja zu, dass ich nicht oft eine Rate gezahlt habe, aber ich wusste nicht, dass das so viel wird. Ich dachte, der Betrag bleibt immer gleich!“ meint die gepflegt wirkende Frau.

So viel Naivität wundert erfahrene Schuldnerberater nicht. Die Mehrzahl der Klienten ist – vor allem in Geld- und Rechtsangelegenheiten – ziemlich unbeholfen. Aufgabe der Berater ist es daher, möglichst einfache Schritte vorzugeben. Im konkreten Fall bedeutet das, den „guten Willen“ zur Entschuldung auszuloten. Eine vollständige Rückzahlung wird Frau R. ohnehin nicht gelingen. Dazu müsste sie mit ihrem schmalen Gehalt als Küchenhilfe bis zum Jahre Schnee arbeiten.

Sieben dürre Jahre bis zum Privatkonkurs

Der Gesetzgeber hat für aussichtslose Fälle wie diesen im Jahr 1995 die Möglichkeit zum so genannten Privatkonkurs geschaffen. Das heißt, private Kreditnehmer können ebenso wie Unternehmer unter bestimmten Voraussetzungen Pleite machen und so ihre Schulden hinter sich lassen. Dazu müssen allerdings harte sieben Jahre durchgestanden werden, in denen je nach Einkommen ein bestimmter Betrag an die Gläubiger gezahlt wird und wirklich nur Geld für das Allernötigste übrig bleibt. „Sie müssen zunächst Ihre private Situation klären“, versucht Maly der Frau klar zu machen. Sie lebt derzeit bei einer Freundin und weiß nicht, wie lange das noch möglich ist. Das heißt, irgendwann einmal könnte wieder eine mehr oder weniger hohe Miete anfallen – und das macht alle längerfristigen Überlegungen zunichte, wie viel Frau R. pro Monat an Rate zurückzahlen könnte. Die Aufgabe an sie lautet daher: eine stabile Wohnsituation schaffen und drei Monate lang von den 6.500 Schilling Gehalt 500 Schilling auf ein Sparbuch einzahlen. Erst wenn die geschafft ist, wird der Schuldnerberater gemeinsam mit seiner Klientin die Maßnahmen zum außergerichtlichen Ausgleich einleiten.

Pro Österreicher 100.000 Schilling Schulden

Einen Einzelfall stellt ihre Situation nicht dar: Gerade Kredite zur Wohnraumschaffung stürzen viele Familien ins finanzielle Unglück. In Österreich haben immerhin vier von zehn Haushalten deshalb Schulden, wegen dauerhafter Konsumgüter jeder zehnte Haushalt. Viele von ihnen zahlen ihre Raten plangemäß zurück. Aber die Zahl jener, die irgendwann einmal zahlungsunfähig werden, ist nach den Erfahrungen der Schuldnerberater ständig am Steigen. Gehen die Leute immer sorgloser mit ihrem Geld um oder werden die Verlockungen der Konsumwelt immer stärker? Die Schuldnerberater machen dafür auch andere Gründe aus: Früher seien Kreditnehmer eingehender überprüft worden. Heute würden Bankkredite immer leichtfertiger vergeben.

Anscheinend nutzen Kreditinstitute, Versandhäuser und sonstige Profi-Gläubiger die Tatsache, dass sie sich wie in kaum einem anderen Land der Welt darauf verlassen können, den Zugriff auf den Schuldner nicht zu verlieren. Unterstützt werden sie dabei – wie die Schuldnerberater nicht gerade glücklich anmerken – von Vater Staat, der durch ein rigoroses Meldegesetz dafür sorgt, dass „schlechte Zahler“ schwer auf Tauchstation gehen können, und der dazu gleich ein entsprechendes gesetzliches Geldeintreibsystem mitliefert: angefangen von Lohnpfändung bis zum „Kuckuck“ vom Gerichtsvollzieher. Wer in diesen Kreislauf einmal hineingeraten ist, muss oft erkennen, dass ein Entrinnen unmöglich ist: Da das Konto meist ohnehin schon heillos überzogen ist, sind Eingänge ebenso schnell weg, wie sie hereinkamen – und decken doch vielleicht nicht einmal die monatlichen Grundbedürfnisse (wie Miete, Unterhaltszahlungen und Ähnliches). Wie sollen da noch Zinsen, geschweige denn der Kreditbetrag, zurückgezahlt werden? Die Aussicht, einfach unterzutauchen und alle Sorgen hinter sich zu lassen, ist nur für einen kurzen Moment verlockend: Ohne Sozialversicherung werden schon kleinere Krankheiten zur finanziellen Katastrophe, und ein Leben ständig auf Wanderschaft und ohne die geringste Absicherung, wird spätestens in der Pension zu einem grausamen Bumerang.

Am Ende doch noch schuldenfrei

An einen derartigen Lebensabend hat wohl auch Frau B. nie gedacht. Die rührige ältere Dame hat zeit ihres Lebens gearbeitet und fünf Kinder großgezogen. Gemeinsam mit dem zweiten Mann träumte sie von bescheidenem Luxus – ein Haus im Westen Wiens sollte ihn bieten. Aber der Mann starb, bevor der Rohbau fertig war. Nun wird sie von hereinflutenden Forderungen überschwemmt. Wichtigste Hilfe bei Frau B.: überhaupt einmal etwas Ordnung in das Chaos von Gläubigerzuschriften, Anwaltsbriefen und Bankabrechnungen zu bringen. Gut zwei Millionen Schilling machen die Schulden überschlagsmäßig aus, acht Gläubiger stehen auf der Liste – darunter drei Banken, zwei Versandhandelshäuser und ein Baustoffhändler, der noch Außenstände vom bereits verkauften Rohbau geltend macht. Der Schuldnerberater hilft beim Ausfüllen der Anträge auf Restschuldbestätigung, damit klar wird, wie viel jeder Gläubiger tatsächlich fordert. Adressieren und frankieren muss Frau B. ihre „Liebesbriefe“, wie sie mit dem verbliebenen Restchen Humor meint, selbst – denn das ist den Schuldnerberatern wichtig: Ihre Klienten sollen lernen, selbst aktiv zu werden und ihr Leben so weit wie möglich in den Griff zu bekommen.

„Vielleicht habe ich doch auch einmal Glück und werde noch schuldenfrei“, meint Frau B. abschließend. Es sei ihr von Herzen gegönnt – aber in jedem Fall muss sie dazu in den nächsten Jahren noch ein schönes Stück Arbeit leisten.

Ein strenges Meldegesetz sorgt dafür, dass es für säumige Zahler kein Entrinnen gibt.

Sind Sie an einer Liste aller Schuldnerberatungsstellen in Österreich interessiert? Kostenlos anfordern unter (01) 588 770.

Die Broschüre "Schulden und Privatkonkurs" ist kostenlos erhältlich beim Bundesministerium für Justiz, Radetzkystraße 2, 1030 Wien. Tel: (01) 711 72-0.

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