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24-Stunden-Betreuung - Dubiose Verträge

Immer mehr Menschen in Österreich sind auf Pflege angewiesen. Bei der Suche nach Betreuung nehmen viele die Dienste von Vermittlungsagenturen in Anspruch. Dabei gibt es immer wieder Probleme.

Unheilbare Erkrankung

Die Lebenserwartung in Österreich steigt. Schätzungen zufolge soll sich die Zahl der über 80-Jährigen in den nächsten 35 Jahren von derzeit 360.000 auf rund eine Million fast verdreifachen. Gemäß dem österrei­chischen Demenzbericht wird die Zahl der Demenzkranken von derzeit 130.000 auf 260.000 im Jahr 2050 steigen. Der Begriff Demenz umschreibt Beeinträchtigungen der kognitiven Funktionen wie Gedächtnis, Orientierung, Sprachvermögen, Auffassungs-­gabe oder Urteilsvermögen.

Die meisten ­Betroffenen leiden an der direkt auf Ver­änderungen des Gehirns zurückzuführenden Alzheimer-Krankheit. Alzheimer ist wie auch andere Formen der Demenz nach heutigem medizinischen Wissensstand unheilbar. Der Erkrankungsprozess lässt sich weder durch Medikamente noch durch Therapien stoppen.

Berufliche Unvereinbarkeit

Demenzkranke Menschen sind auf Pflege und Unterstützung angewiesen. Die Bereitschaft von Angehörigen, Pflegearbeit zu ­leisten, ist in Österreich zwar hoch, im Demenzbericht ist allerdings festgehalten, dass die Vereinbarkeit von informeller Pflege und ­Erwerbsarbeit– aufgrund der hohen Belas­tungen – deutlich erschwert wird. Berufliche Mobilitätsanforderungen sorgen etwa dafür, dass Kinder und Eltern häufig nicht mehr am selben Ort leben. Außerdem nimmt der Anteil an Singlehaushalten zu. Eine der Konsequenzen, die sich aus dieser Entwicklung ergeben, ist eine massiv steigende Nach­frage nach 24-Stunden-Betreuung.

10.000 Pflegekräfte pro Jahr

Schätzungen des Vereins ChronischKrank aus dem oberösterreichischen Enns zufolge sind derzeit zwischen Bregenz und dem ­Neusiedler See bereits rund 60.000 Pflegekräfte, meist Frauen, im häuslichen Dienst im Einsatz. Vereinsobmann Jürgen Ephraim Holzinger beziffert den zusätzlichen jähr­lichen Bedarf auf etwa 10.000 Pflegerinnen bzw. Betreuerinnen. Mit der Nachfrage stieg in den vergangenen Jahren auch die Zahl der Agenturen, die Pflegekräfte vermitteln. Laut Holzinger sind mittlerweile ungefähr 600 Vermittlungsagenturen in Österreich tätig.

Vermittlungsagenturen: Ungesetzliche Klauseln

Neben seriösen Anbietern tummeln sich da auch dubiose Unternehmen. Bei uns gehen immer wieder Berichte über Lohndumping oder nicht abgeführte Sozialbeiträge ein. Auch sind Beschwerden über schlecht aus­gebildete Pflegekräfte und Personal mit mangelnden Deutschkenntnissen an der ­Tagesordnung. Häufig weisen bereits die Verträge, die Pflegekräften und Klienten von den Agenturen zur Unterschrift vorgelegt werden, höchst problematische Klauseln auf. VKI-Juristin Ulrike Docekal überprüfte im Jahr 2012 im Auftrag des Konsumentenschutzministeriums zahlreiche Verträge zur 24-Stunden-Betreuung. Dabei stieß sie ­immer wieder auf teilweise sittenwidrige bzw. ungesetzliche Bestimmungen. Besonders prob­­lematisch sind etwa sogenannte Kon­kurrenzklauseln.

Probleme bei Vertragskündigung

„Darin wird den Klienten, die den Vertrag mit der Agentur gekündigt hatten, unter Androhung einer Konventionalstrafe untersagt, das vermittelte Betreuungspersonal weiter zu beschäftigen, und zwar zeitlich völlig unbegrenzt. Außerdem soll die Strafe oft auch dann anfallen, wenn die ­Agentur das Vertragsende zu vertreten hat“, sagt Docekal. Ebenfalls zu beanstanden sind aus Sicht unserer Expertin Haftungsausschlüsse: „Die Agenturen stehlen sich damit aus der Verantwortung. Es ist ja gerade die Hauptleistung einer Vermittlungsagentur, ­geeignete Betreuer zu vermitteln.“


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Betreuungspool Vorarlberg

VKI-Verbandsklage

Mit Verbandsklage ging unsere Rechtsabteilung im Jahr 2013 gegen einen Verein vor, der Personal für die 24-Stunden-Betreuung vermittelte. Das zuständige Landesgericht Linz urteilte, dass nicht weniger als neun Klauseln im Vertrag zwischen Agentur und betreuungsbedürftiger Person sowie vier Klauseln im Vertrag zwischen Agentur und Betreuungsperson gesetzwidrig sind. So sollte der Klient keinerlei Mitspracherecht betreffend die Bezahl­modalitäten der Agentur an die Betreuungspersonen haben. Dies wurde vom Gericht als unzulässiger Eingriff in das Rechts­verhältnis zwischen der Personenbetreuerin und dem Klienten gewertet. Ebenso kippte das LG Linz eine uneingeschränkte Verschwiegenheitsverpflichtung zulasten der betreuungs­bedürftigen Person. Dem Klienten wäre es in Beschwerdefällen nicht einmal möglich gewesen, sich an öffentliche Insti­tutionen oder Verbraucherschutzorganisationen zu wenden.

Gröblich benachteiligend

Ebenso erteilte das Gericht einer Bestimmung eine klare Absage, die eine ­Beschäf­ti­gung der Betreuungskraft innerhalb von 6 Monaten nach Beendigung ihrer Mitgliedschaft im Verein untersagte: Das sei gröblich benachteiligend, weil es sich bei betreuungsbedürftigen Personen um eine besonders schutzwürdige Personengruppe handle. Außerdem wäre nach der bean­standeten Klausel eine Weiterbeschäftigung selbst dann verboten, wenn die Vermittlungsagentur ihre Leistung mangelhaft erbringt oder gar den Betrieb einstellt.

Urteil rechtskräftig

Auch die Position der Betreuungskräfte ­wurde durch das rechtskräftige Urteil gestärkt. Das Gericht kippte beispielsweise ­eine Vertragsbestimmung, die es den Betreuungspersonen untersagte, Informationen über ihre Bezahlung preiszugeben, als zu weitgehend und daher sittenwidrig.

Schluss mit freiem Gewerbe

Der Verein ChronischKrank fordert gesetz­liche Änderungen, die gewährleisten, dass die häusliche Pflege nicht länger als freies Gewerbe – also ohne Befähigungsausweis – ausgeübt werden darf. „Die Qualifikation der Pflegekräfte muss endlich seriös überprüft werden. Es kann nicht sein, dass der Busfahrer einmal schnell eine Bestätigung für Pflegerinnen ausstellt“, sagt Vereins­obmann Holzinger und fordert ein von einer unabhängigen Stelle vergebenes Zertifikat.

„Jeder Immobilienmakler oder Raumpfleger wird hierzulande besser kontrolliert als Pflegekräfte im häuslichen Bereich. Es wäre durchaus zumutbar, dass die Pflegerinnen per­sönlich bei der Wirtschaftskammer vor­sprechen müssen, um sich einen Gewerbeschein ausstellen zu lassen.“ So könnten ­unseriöse Vermittlungsagenturen besser ausgeschaltet werden und es ließe sich ganz nebenbei auch überprüfen, ob die Betreuungsperson über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt.

Betreuungspool Vorarlberg

Einen anderen Weg beschreitet man in Vorarlberg. Hier wurde im Jahr 2007 der sich zu 40 Prozent selbst erhaltende und zu 60 Prozent vom Land finanzierte Betreuungspool gegründet. Die gemeinnützige GmbH vermittelt selbstständige Betreuungskräfte. Um in die Datenbank des Betreuungspools zu gelangen, müssen sie neben ihrer beruf­lichen Qualifikation auch gute Deutschkenntnisse nachweisen. „Wir erfassen beim Aufnahmegespräch mit den Klienten die ­Betreuungssituation vor Ort und vermitteln eine Betreuungskraft, die unserer Ansicht nach die gesetzten Anforderungen erfüllt“, sagt die Geschäftsführerin des Pools, Angela Jäger.

Für die Vermittlungstätigkeit verlangt der Betreuungspool im ersten Jahr eine Gebühr von 550 Euro von der zu betreuenden Person, im zweiten Jahr sinkt der Betrag auf 275 Euro. Darin sind alle nötigen Verträge und Förderansuchen sowie die Nachbesetzung bei Krankheit oder sonstigen Ausfällen eingeschlossen. Die Betreuungskosten selbst bezahlt der Klient direkt an die Betreuungskraft, mit der er auch einen Vertrag abschließt. Der Betreuungspool steht mit Rat und Tat zur Seite, wenn es zwischen Klient und Betreuungskraft zu Konfliktsituationen kommen sollte.

550 Betreuungskräfte vermittelt

Derzeit sind rund 550 über den Betreuungspool vermittelte Kräfte bei 333 Familien in Vorarlberg tätig. „Das sind um 30 Prozent mehr als noch vor einem Jahr“, sagt Angela Jäger. Sie schätzt, dass der Pool etwa ein Drittel des Bedarfs im Ländle abdeckt. Die Betreuungsperson muss pro Jahr 120 Euro an den Betreuungspool abführen. In diesem Mitgliedsbeitrag ist eine Haftpflicht- sowie eine Rechtsschutzversicherung enthalten. Zudem finanziert der Betreuungspool daraus Weiterbildungskurse für die Betreuungs­kräfte. „Wir haben enormen Zulauf. In unserer Datenbank sind derzeit 2.400 Personenbetreuer verzeichnet, Tendenz steigend“, sagt Jäger.

Die Beliebtheit führt sie vor allem darauf zurück, dass der Betreuungspool faire Bedingungen und eine angemessene Bezahlung garantiere. „Das Geschäft mit der Personenbetreuung darf kein moderner Sklavenhandel sein, wir beteiligen uns deshalb nicht am Lohndumping. Qualifizierte Betreuung hat ihren Preis und ist einfach nicht für 50 oder noch weniger Euro am Tag zu haben.“

24-Stunden-Betreuung*

  • Vergleichen Sie Angebote verschiedener Anbieter. Lassen Sie sich detaillierte Infor­mationen über Leistungen und Kosten schriftlich geben.
  • Laden Sie mögliche Kandidaten zu einem persönlichen Gespräch ein. Verschaffen Sie sich dabei einen Überblick über Deutschkenntnisse und Referenzen bzw. Qualifikation.
  • Unterschreiben Sie keinen Vertrag, ohne diesen vorher gelesen zu haben und bevor Sie nicht über die Kosten Bescheid wissen.
  • Treffen Sie schon im Betreuungsvertrag Regelungen über mögliche Ersatzkräfte und vereinbaren Sie im Vertrag, dass dieser bei einer dauerhaften Übersiedelung in ein Pflegeheim enden soll.

*) Tipps aus "Der Plegeratgeber", Linde Populär, ISBN 978-3-7093-0513-3

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