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Altersbeschwerden: Rezeptfreie Mittel - Zum Vergessen

  • Sogenannte Altersbeschwerden sind keine Krankheit
  • Alle Präparate im Test wenig geeignet
  • Hilfreich sind gesunde Ernährung, geistige und körperliche Aktivität
  • Lebenserwartung steigt

    Die Lebenserwartung von Frau und Herrn Österreicher steigt: Vor zwei Jahrzehnten wurden Männer im Schnitt rund 72 und Frauen 79 Jahre alt, heute sind es bereits 77 bzw. 83 Jahre. Und obwohl wir immer älter werden, fühlen wir uns zunehmend jünger. Dass im genetischen Programm des Menschen ein unaufhaltsamer und nicht umkehrbarer Alterungsprozess vorgesehen ist, hören wir weniger gern. Mit steigendem Alter verengen sich beispielsweise die Gefäße, dadurch kommt es zu Durchblutungsstörungen einzelner Organe. Besonders betroffen von dieser Unterversorgung ist das Gehirn. Als Folgen können Gedächtnisleistung und Konzentrationsfähigkeit nachlassen, Orientierungsschwächen und rasche Stimmungswechsel auftreten.

    Manche altern schneller als andere

    Natürlich altern manche Menschen schneller als andere. Die Lebensumstände spielen dabei eine entscheidende Rolle. Raucher und Übergewichtige haben von Haus aus schlechtere Karten als Menschen, die sich gesund ernähren und viel bewegen. Ebenso wichtig ist die geistige Fitness. Die Altersforschung hat ergeben, dass die geis­tigen Fähigkeiten mit zunehmendem Alter dann am wenigsten abnehmen, wenn sie dauernd trainiert werden.

    Was nicht benutzt wird, verkümmert

    Für unser Gehirn gilt demnach, was auch für unsere Gelenke zutrifft: Was nicht benutzt und trainiert wird, verkümmert. Wer aktiv am politischen, sozialen und kulturellen Geschehen teilnimmt, bleibt auch geistig eher rege. ­Soziale Isolation und Verbitterung hin­gegen schaden der Gesundheit.

    Vergess­lichkeit wird vielfach überbewertet

    Die nachlassende Wahrnehmungs- und Reaktionsgeschwindigkeit lässt sich kompensieren, indem man sich mehr Zeit nimmt und mit größerer Sorgfalt und Umsicht handelt. Die sprichwörtliche Vergess­lichkeit ­älterer Menschen wird vielfach überbewertet. Das Kurzzeitgedächtnis lässt im Alter zwar nach – wobei dieses Nach­lassen individuell sehr unterschiedlich ausfallen kann –, das Langzeitgedächtnis hingegen funktioniert in der Regel nahezu uneingeschränkt. Bestimmte Hilfsmittel wie das Anlegen von Notizen können nützlich sein, wenn man sich auf sein Gedächtnis nicht mehr so ganz verlassen kann.

    Viele Mittel nutzlos

    Botoxspritzen und plastische Chirurgie

    Doch es stehen auch noch ganz andere „Jungbrunnen“ hoch im Kurs. Botoxspritzen und die plastische Chirurgie erfreuen sich großer Beliebtheit, und die Pharma­industrie reibt sich angesichts hoher ­Umsätze bei ­Präparaten gegen Altersbeschwerden die Hände. Dass viele der erhältlichen Mittel nutzlos sind, scheint die Kundschaft dabei nur mäßig abzuschre­cken.

    Wir haben 13 gän­gige, in der Apo­theke rezeptfrei erhältliche Präparate ge­testet:

    • drei Lecithinmonopräparate
    • ein Lecithinkombinations­präparat mit Vitaminen
    • zwei Lecithin­tonika mit ­Koffein
    • drei Ginsengmonopräparate
    • zwei Ginsengkombinationen mit Vitaminen, ­Mineralstoffen und Spurenelementen
    • ein Knoblauchpräparat und
    • ein Kombinationspräparat mit dem Lokalanästhetikum Procain und dem beim Hämoglobinabbau entstehenden Hämatoporphyrin.

    Alzheimer, Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen

    Bei sämtlichen untersuchten Mitteln handelt es sich nicht um Medikamente gegen Erkrankungen, wie sie im Alter gehäuft ­auftreten, etwa Alzheimer, Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen. Diese bedürfen einer adäquaten medizinischen Therapie und haben mit den Altersbeschwerden, von denen hier die Rede ist, nichts zu tun.

    Viel Einbildung

    Die Wirkung der von uns ­getesteten „Stärkungsmittel“ oder Tonika (auch Roborantien genannt), die in der ­Rekonvaleszenz, bei Überanstrengung, ­Erschöpfung oder eben nachlassender ­Konzentrations- und Gedächtnisleistung helfen sollen, beruht in erster Linie auf Suggestion. Die Wirkstoffe der Tonika können den Alterungsprozess nicht beeinflussen oder gar aufhalten, manche sind sogar ­kontraproduktiv. So ist es etwa nicht angebracht, Erschöpfungszuständen mit anregenden Mitteln (Koffein) zu begegnen, da der normale Erholungsprozess beeinträchtigt wird.

    Lecithin: die Wirkung ...

    Lecithin (Phosphatidylcholin) ist ein Grundbaustein der Zellmembran und besteht aus Cholin, Glycerin, Phosphorsäure sowie Fettsäuren. Die Substanz kommt auch im Nervengewebe vor und spielt eine Rolle bei der Resorption von Fetten im ­Magen-Darm-Trakt sowie im Stoffwechsel von Proteinen und Kohlenhydraten. Lecithin, das als Bestandteil von Arzneimitteln und als Lebensmittelzusatzstoff verwendet wird, stammt aus der Sojabohne. Belegt ist, dass Lecithin einen gewissen Einfluss auf den Choles­terinspiegel hat. Allerdings ist dazu die Einnahme einer wesentlich höheren Dosis notwendig, als sie in rezeptfreien Präparaten enthalten ist.

    ... ist nicht ausreichend belegt

    Die Wirksamkeit von Lecithin bei körperlichen und mentalen Alters­beschwerden ist therapeutisch nicht aus­reichend belegt. Wir beurteilen die drei ­Lecithinmonopräparate Buerlecithin compact, Buerlecithin flüssig und ­Lecithin Kapseln ‚Twardy’ deshalb als ­wenig geeignet zur Leistungssteigerung im Alter. Das Lecithinkombinationspräparat mit B-Vitaminen, Buerlecithin Dragees, beurteilen wir ebenfalls als wenig geeignet für die beanspruchten Indikationen, da die Wirksamkeit der Kombination nicht ausreichend belegt ist. Gleiches gilt für die beiden Kombinationspräparate mit Koffein, Lecikur Lecithin ‚Kwizda’ Tonikum und Lecivital Tonikum.

    Geringe Wirkung, sichere Beweise fehlen

    Ginseng: sicherer Beweis fehlt

    Ginseng (Padang Ginseng) wird als Extrakt oder Trockenpulver der Ginsengwurzeln in Tonika eingesetzt. Tierexperimentelle Studien liefern Hinweise auf eine Wirksamkeit bei Stress oder Überbelastung, diese Daten sind aber nicht auf den Menschen übertragbar. Darüber hinaus existieren zwar Humanstudien, die Anhaltspunkte für die postulierten Wirkungen beim Menschen geben, diese reichen aber nicht aus, um die Wirkung zweifelsfrei zu belegen.

    Wenig geeignet zur Stärkung des Körpers

    Wir be­urteilen die drei Ginsengmonopräparate Ginsana 100 mg Kapseln, Ginsana 140 mg/ 15 ml Tonikum und Roter Ginseng von Gintec Kapseln als wenig geeignet zur Stärkung und Kräftigung des Körpers bei altersbedingt nachlassender Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit. Ebenfalls als wenig geeignet beurteilen wir die Ginsengkombinationspräparate mit Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen: Geriatric ‚Pharmaton’ Kapseln und Proaktiv ‚Pharmaton’ Filmtabletten.

    Knoblauch: Wirkung nicht nachgewiesen

    Knoblauch (Allium sativum) gilt als traditionelles Heilmittel bei verschiedenen Erkrankungen. Der Wirkstoff Allicin, für den pharmakologische Wirkungen angegeben werden, entsteht beim Quetschen der Knob­lauchzwiebel durch enzymatische Aktivität der Allinase. Bei Altersbeschwerden werden Wirkungen hinsichtlich Arterioskle­rose, Blutgerinnung und erhöhtem Choles­terinspiegel (Hypercholesterinämie) pos­tuliert. Es existieren verschiedene Studien, die zwar Hinweise auf die Wirksamkeit ­geben – etwa bei arteriosklerotischen Prozessen –, diese sind allerdings uneinheitlich. Da die Wirkung von Knoblauch auch bei anderen beanspruchten Anwendungsgebieten nicht ausreichend durch wissenschaftliche Studien nachgewiesen ist, beurteilen wir Kwai Dragees 300 mg als wenig geeignet bei altersbedingten Gefäßver­änderungen und allgemeiner Arterienverkalkung.


    Procain: schnell abgebaut, wenig geeignet

    Procain ist ein örtliches Betäubungsmittel (Lokalanästhetikum), Hämatoporphyrin entsteht bei der Verstoffwechselung des ­roten Blutfarbstoffes Hämoglobin. Der Einsatz von Procain als Geriatrikum beruht auf seiner an sich unerwünschten blutdrucksenkenden Nebenwirkung. Ein wissenschaftlicher Nachweis, der die Anwendung bei Altersbeschwerden belegt, gelang bisher nicht. Procain wird nach der oralen Ein­nahme abgebaut, bevor es vom Darm resorbiert werden kann. Der Zusatz von Hämatoporphyrin soll den Abbau von Procain im Darm verhindern. Wir beurteilen das Prä­parat KH3 ‚Geriatricum Schwarzhaupt’ Kapseln als wenig geeignet zur besseren Durchblutung, Stärkung und Kräftigung des Körpers bei altersbedingt nachlassender Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit.

    Keine relevanten Wirkungen

    Dieser Test zeigt, dass die angebotenen Stärkungs- und Kräftigungsmittel bei Beschwerden im Zuge des Alterungsprozesses keine relevanten Wirkungen aufweisen. Die Aussicht, damit Altersbeschwerden zu mildern, erscheint mehr als vage. Anstatt teurer Pillen empfehlen wir eine gesunde Ernährung mit ausgewogener und abwechslungsreicher Mischkost sowie körperliche und geistige Aktivität

    Vernünftige Ernährung und Bewegung

    Ein allgemeingültiges Rezept für ein langes Leben in guter körperlicher Verfassung gibt es nicht. Bestimmte Lebensumstände können hierzu aber einen Beitrag leisten:

    Richtig dosierte körperliche Betätigung während des ganzen Lebens (Bewegung, Sport)
    Vernünftige Ernährung (abwechslungsreiche, ausgewogene Mischkost)
    Möglichst nicht rauchen, mäßiger Alkoholkonsum
    Geistige Betätigung, also aktives Interesse am politischen, sozialen und kulturellen Geschehen
    Psychisches Wohlbefinden: Einsamkeit und Verbitterung schaden der Gesundheit

    Altersbedingte Veränderungen

    • Das Herz verliert an Gewicht, durch die ­Arterienverkalkung können sich die Herzkranz­gefäße verengen, die Pumpleistung nimmt ab.
    • Die Lunge ist weniger leistungsfähig. Weil die Rippenknorpel verkalken, verliert der Brustkorb an Elastizität. Die Atembewegung wird erschwert.
    • Muskulatur und Schleimhaut von Magen und Darm verändern sich; Speisen werden langsamer verdaut, auch Medikamente werden langsamer abgebaut und die Wirkstoffe bleiben länger im Körper.
    • Der Fettgehalt der Leber nimmt zu, Giftstoffe werden langsamer abgebaut. Als besonders stark durchblutetes Organ leidet die Leber unter der verminderten Durchblutung.
    • Die Nieren werden ebenfalls schlechter durchblutet und verkleinern sich. Rückstände und Giftstoffe – sowie auch Medikamente – werden langsamer ausgeschieden.
    • Der Gewebeanteil des Bewegungsapparates verliert Wasser und lagert mehr Fett ein. Es wird mehr Knochengewebe ab- als aufgebaut. Die Muskelmasse nimmt ab, an Gelenken, Wirbeln und Bandscheiben machen sich Verschleißerscheinungen bemerkbar.
    • Die Augen verlieren etwa ab dem 40. Lebensjahr die Fähigkeit, nahe liegende Gegenstände scharf zu sehen. Eine Lesebrille kann erforderlich sein.
    • Die Ohren verändern sich. Der äußere Gehörgang verengt sich, Teile des Ohres verknöchern, die Anzahl der Gehörnerven nimmt ab. Als Folge kann Schwerhörigkeit auftreten.
    • Die Haut wird schlechter durchblutet. Sie ver­- liert zunehmend die Fähigkeit, ­Wasser zu ­binden. Das Gewebe verliert an Elastizität, wird trockener und faltig.
    • Der Wassergehalt des Körpers sinkt von ­zirka 62 auf etwa 54 Prozent. Darauf beruhen größtenteils auch die beschriebenen Veränderungen der verschiedenen Organe. Dagegen hilft nur viel trinken – auch dann, wenn man keinen Durst hat.

    Kompetent mit "Konsument"

    • Keine Krankheit. Sogenannte Altersbeschwerden sind keine Krankheit sondern ein natürlicher Prozess, der im genetischen Programm des ­Menschen festgelegt und unumkehrbar ist.
    • Medikamente. In Apotheken oder Drogerien erhältliche rezeptfreie Präparate, Tonika oder Tinkturen, die den Alterungsprozess verlangsamen oder gar stoppen sollen, sind häufig nicht nur teuer, sondern auch wirkungslos. Wir können kein einziges der getesteten Präparate empfehlen.
    • Aktiv bleiben. Die negativen Folgen des Alterungsprozesses lassen sich am ehesten durch eine möglichst ausgewogene und gesunde Ernährung sowie geistige und körperliche Aktivität mildern.

    Testkriterien

    Grundlage dieses Tests ist das Handbuch „Medikamente“, für das ein Expertengremium der Stiftung Warentest Arzneimittel auf Basis von Literaturrecherchen beurteilte. Hier finden Sie die Methoden.

    Geeignet sind Mittel (Standardtherapeutika), deren therapeutische Wirksamkeit ausreichend nachgewiesen ist. Ihre Nutzen-Risiko-Abwägung fällt positiv aus. „Geeignet“ sind auch Kombinationsmittel, deren Wirkstoffe sich sinnvoll ergänzen.

    Auch geeignet sind Mittel, deren therapeutische Wirksamkeit ebenfalls nachgewiesen ist, die aber Konservierungsmittel enthalten oder noch nicht lange genug erprobt sind.

    Mit Einschränkung geeignet sind Mittel, die therapeutisch wirksam sind, aber im Vergleich zu Standardtherapeutika ein höheres oder nicht gut einschätzbares Risiko bergen.

    Wenig geeignet sind Mittel, deren therapeutische Wirksamkeit nicht ausreichend belegt ist, die nicht ausreichend dosiert sind, deren therapeutische Wirksamkeit im Verhältnis zu den Risiken zu gering ist sowie Mittel mit mehr als einem Wirkstoff, deren Wirkstoffe sich nicht sinnvoll ergänzen oder keinen zusätzlichen therapeutischen Nutzen aufweisen.

    Keine Bewertung

    Anthroposophische, homöopathische und traditionell angewendete Mittel lassen sich nach den Grundsätzen unseres Tests nicht bewerten.

    Tabelle: Rezeptfreie Mittel bei Altersbeschwerden

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