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Medikamente: Teil 3 - Rezept statt Risiko

Noch gibt es viele Arzneimittel nur auf Rezept. Im Internet kann man sie trotzdem problemlos kaufen.
Europareisende wundern sich immer wieder, warum sie ein Arzneimittel in den Apotheken des einen Landes frei kaufen können, in einem anderen Land dafür aber ein Rezept verlangt wird. In jedem Land werden verschreibungspflichtige und frei verkäufliche Arzneimittel unterschieden. Welcher Kategorie eine Substanz zugeordnet wird, entscheidet die Zulassungsbehörde. Grundsätzlich ist zunächst einmal jede neue Substanz verschreibungspflichtig. Wenn sie sich dann über lange Zeit als sicher erwiesen hat, kann die Behörde die Rezeptpflicht aufheben. Für manche Wirkstoffe gibt es auch eine geteilte Regelung: Bis zu einer bestimmten Dosierung sind sie frei verkäuflich, in höherer Dosierung rezeptpflichtig. Zum Beispiel Ibuprofen: In Österreich liegt die Grenze bei 200 mg, in Deutschland bei 400 mg. Die Entscheidung, verschreibungspflichtig oder nicht, liegt im Ermessen der Zulassungsbehörde, und dabei fließen immer unterschiedliche Interessen ein.

Lobbyisten am Werk

Politische Entscheidungen sind immer auch von Lobbyarbeit beeinflusst. Die gesundheitspolitische Strategie eines Staates kann es zum Beispiel sein, seine Sozialversicherungssysteme zu entlasten, indem er die Eigentherapie der Bürgerinnen und Bürger fördert. Dazu ist eine breite Palette frei verkäuflicher Arzneimittel erforderlich. Beispiel Deutschland: Dort steigt der Umsatz der Selbstmedikationsarzneimittel Jahr für Jahr. Dass dieser Markt in Österreich beschränkter ist, hat – so wird auf Apothekerseite vermutet – seinen wahren Grund wohl in der Lobbyarbeit der Ärzteschaft. Eine möglichst strenge Verschreibungspflicht sichert den Ärzten kontinuierliche Patientenkontakte und beschert ihnen damit Abrechnungsmöglichkeiten.

Umsatz als Erfolgsgradmesser

Ein Blick auf die Hersteller zeigt, dass Medikamente nicht nur Heilmittel, sondern auch Waren sind, deren Erfolg am Umsatz gemessen wird. Was Wunder also, dass die Industrie sich bemüht, Entscheidungen der Zulassungsbehörde zu verhindern, die den Absatz schmälern könnten. Ein Beispiel aus Deutschland: Jahre wurde diskutiert, ob so genannte H2-Blocker wie Famotidin und Ranitidin, die die Produktion von Magensäure hemmen und mit denen lange Zeit Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre behandelt wurden, aus der Verschreibungspflicht entlassen werden sollen. Man kam zu keiner Entscheidung. Für die Hersteller ließ sich die Frage, ob die Mittel mehr einbringen, wenn der Arzt sie verordnet und die Krankenkassen sie bezahlen, oder wenn sie in Eigenregie gekauft werden, nicht eindeutig beantworten. Doch dann änderte sich das Bild. Aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse werden diese Geschwüre nun vornehmlich mit anderen Mitteln behandelt. Für die Pharmafirmen hieß das: weniger Umsatz über Rezepte. Seit Ende 1999 sind diese Mittel in Deutschland nun verschreibungsfrei. Die Hersteller bewerben ihre Produkte jetzt vor allem als Hilfe gegen Sodbrennen und/oder saures Aufstoßen und sichern sich so einen Platz im Selbstmedikationsmarkt der Magenmittel.

Verwirrendes Angebot

Verwirrend ist auch, dass Präparate, die man aus gesundheitlichen Gründen einnimmt, teils nur in der Apotheke, teils auch im Supermarkt zu haben sind. Ursache ist, dass das, was Sie als Pulverl schlucken, nach den Buchstaben des Gesetzes vielleicht gar kein Arzneimittel ist. Andererseits ist aber auch eine ganze Reihe von Nicht-Arzneimitteln am Markt, die eigentlich in eine Apothekenschublade gehörten.

Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel?

Das Gesetz unterscheidet klar: Arzneimittel, Lebensmittel, Verzehrprodukte. In der Praxis werden diese Grenzen jedoch ziemlich ausgebeult. Was was ist, richtet sich im Wesentlichen nach den Inhaltsstoffen, der Darreichungsform (zum Beispiel Tablette), der Gebrauchsanweisung und der Zweckbestimmung. Diese ist auch meist der Knackpunkt: Soll das Mittel nun Krankheiten heilen, lindern, verhüten oder nicht? Die Antwort ist Geld wert. Lautet sie ja, muss das Produkt von der Behörde als Arzneimittel zugelassen werden, ein langwieriger und kostspieliger Prozess. An dessen Ende darf dann angegeben werden, was man von ihm erwarten kann, zum Beispiel „zur Behandlung bei Verstopfung“, und es steht unter der Obhut der Pharmazeuten. Die Konsumenten können – im Rahmen des Möglichen – auf Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit vertrauen.

Lautet der Packungsaufdruck jedoch „bewährt bei ernährungsbedingter Darmträgheit und Verstopfung“, geht das Produkt als Nahrungsergänzungsmittel durch, gehört zu den Verzehrprodukten und darf auch in Supermärkten, Drogerien und Reformhäusern verkauft werden. Einzige Anforderung: Es muss gesundheitlich unbedenklich sein. Da dieser Vertriebsweg bei geringen Kosten schnellen Verdienst verspricht, gehen ihn immer mehr Firmen.

EU-Reform

Auf der einen Seite globalisierte Märkte, auf der anderen Verwirrung durch nationale Gesetzgebung. Damit das anders wird, plant die EU, das Zulassungssystem für Arzneimittel im Jahr 2001 auf neue Beine zu stellen. Wie das aussieht, wird abzuwarten sein.

Drugstore im Internet

Verschreibungspflichtig oder nicht: Mit solchen Kleinigkeiten braucht sich erst gar nicht aufhalten, wer seine Pillen im Internet bestellt. Die Idee ist verlockend: Keine Hetze wegen Ordinations- und Ladenschlusszeiten, nicht mehr beim Arzt für ein Rezept warten, in keiner Apotheke mehr anstehen, keine peinlichen Erklärungen, Mittel, nach denen man hier vergeblich fragt, die den Menschen „draußen“ aber zum großen Glück verhelfen, und letztlich vielleicht sogar noch ein besonders billiges Schnäppchen. Doch diese Träume sind immer noch Schäume. Amerikanische Zustände, wo 13 Prozent aller Arzneimittel bereits per Versandhandel an die Konsumenten gebracht werden, verhindert hier zu Lande das Gesetz. Ein solches Verbot gibt es in vielen europäischen Ländern, und die EU-Kommission hat befunden, dass der Vertrieb von Medikamenten über das Internet gegen europäisches Recht verstößt.

Eine Frage der Haftung

Wer glaubt, unbedingt ein Arzneimittel haben zu müssen, das in Österreich nicht zugelassen ist, kann es sich grundsätzlich von jeder Apotheke importieren lassen. Der anonyme Bezug jedoch – ohne Rezept, ohne Beratung – ist nicht möglich. Und das aus gutem Grund. Wer durch die „besondere Ware Arzneimittel“ zu Schaden gekommen ist, hat haftungsrechtliche Ansprüche: an den Arzt, wenn der nachweislich nicht ausreichend aufgeklärt hat, an den Apotheker, wenn er etwas Falsches ausgefolgt hat, an den Hersteller, wenn das Produkt nicht in Ordnung war. Im Cyberspace ist jedoch rechtlich noch kaum etwas geregelt, Ungesetzliches ist an der Tagesordnung. Den Online-Lieferanten eines rezeptpflichtigen Arzneimittels dingfest zu machen, ist schwierig. Im Zweifelsfall bleibt der Geschädigte allein.

Kein Risiko eingehen

Die Möglichkeiten, zu Schaden zu kommen, sind vielfältig. Das ist bisher aufgefallen:

  • Informationen über das Arzneimittel können fehlen, unzureichend oder falsch sein. Damit bleibt unklar, wer das Mittel nicht einnehmen darf, mit welchen anderen Medikamenten es nicht kombiniert werden darf, was für Nebenwirkungen es haben kann.
  • Es werden hochwirksame Arzneimittel für Anwendungen angeboten, für die sie nicht gedacht sind, noch dazu mit Angabe unzutreffender Eigenschaften. Beispiel: Phenytoin, ein Medikament gegen Epilepsie, „zur Erhöhung des Konzentrationsvermögens“. Das Gegenteil führt die Fachinformation auf: Es kann zu „Störungen der intellektuellen Leistungsfähigkeit“ führen.
  • Überschrittenes Verfallsdatum, aber kein Vermerk auf dem Produkt.
  • Es wird geschätzt, dass weltweit sieben Prozent aller Arzneimittel gefälscht sind. Sie enthalten entweder nicht oder nicht nur den deklarierten Wirkstoff, eine andere als die angegebene Menge oder ihre Qualität ist zweifelhaft.

Dazu kommt noch langes Warten auf die Lieferung und dass bezahlte Bestellungen beim Kunden erst gar nicht eintreffen. Ganz zu schweigen von den Preisen. Im Vergleich mit hiesigen Apotheken fällt der E-Commerce komplett durch. Versandkosten, eventuell Zollgebühren und der Preis für eine Online-Sprechstunde beim „Cyberdoc“, um das dann doch notwendige (virtuelle) Rezept zu bekommen, verteuerten den Einkauf oft immens. Fazit: Am besten Finger weg!

Arzneimittel sind Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die am oder im menschlichen Körper angewandt werden, um Krankheiten zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen. Sie können die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelischer Zustände erkennen lassen oder beeinflussen, körpereigene Wirkstoffe oder Flüssigkeiten ersetzen und Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abwehren, beseitigen oder unschädlich machen. Sie müssen als Arzneimittel amtlich zugelassen werden.

Lebensmittel sind Nahrungs- und Genussmittel, die überwiegend zu Ernährungs- oder Genusszwecken gegessen oder getrunken werden.

Verzehrprodukte werden wie Lebensmittel gegessen, gekaut oder getrunken, dienen aber nicht überwiegend Ernährungs- und Genusszwecken. Sie müssen beim Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen angemeldet und wie Lebensmittel gekennzeichnet sein und dürfen mit keinen gesundheitsbezogenen Angaben in Verkehr gebracht werden, die im Zusammenhang mit Krankheiten oder Symptomen stehen.

Nahrungsergänzungsmittel sind Verzehrprodukte, die Nahrungsbestandteile wie Vitamine, Mineralstoffe, essenzielle Fettsäuren und Kohlenhydrate in konzentrierter Form enthalten und üblicherweise wie Arzneimittel zum Einnehmen angeboten werden.

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