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Rezeptfreie Mittel bei Blasen- und Prostataproblemen - Stark verwässert

Blasen-, Nieren- und Prostatabeschwerden vom Arzt abklären lassen. Vorsicht bei Präparaten mit Bärentraubenblättern und Wacholderbeeren. Keines der getesteten Mittel kann als geeignet bewertet werden.

„Das geht mir an die Nieren“, sagen wir, wenn uns etwas emotional stark belastet. Tatsächlich leisten die Nieren Schwerst­arbeit und sind für viele körperliche Funktionen zuständig. Sie regeln den Salz- und Wasserhaushalt, sind an der Produktion von Hormonen beteiligt und beeinflussen Blutbildung, Knochenstoffwechsel und die Regulierung des Blutdrucks. Ihre Hauptaufgabe besteht allerdings darin, nicht nutzbare und für den Organismus giftige Stoffe aus dem Blut zu filtern und auszuscheiden. Ohne funktionierende Nieren würden wir innerhalb kurzer Zeit einen qualvollen Tod erleiden. Jeder Mensch ­verfügt normalerweise über zwei Nieren. Diese bestehen jeweils aus zwei Millionen Einheiten (Nephronen), die das Blut filtern und den Harn konzentrieren. Der Harn fließt vom Nierenbecken durch den Harnleiter (Ureter) in die Blase. Wenn sich etwa 0,4 bis 1 Liter angesammelt hat, erfolgt die Entleerung über die Harnröhre.

Vor allem Frauen betroffen

Die häufigsten Erkrankungen der Harn­wege sind Infektionen. Die Keime steigen über die Harnröhre (Urethra) in die Blase und den Harnleiter auf. In seltenen Fällen können Krankheitserreger über den Blutkreislauf zu den Nieren gelangen. Meist sind Frauen von Harnwegsinfektionen wie Blasenkatarrh oder Blasenentzündung betroffen. Manche Frauen erwischt es mehrmals im Jahr. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass die Harnröhrenöffnung der Frau relativ nahe an Scheide und After liegt und zudem kürzer ist als bei Männern. So können Krankheitskeime leichter über die Harnröhre in die Blase gelangen. Das ­Risiko einer Erkrankung erhöht sich durch eine Schwangerschaft, Scheidenausfluss, die Verwendung von Intimsprays oder eines Diaphragmas, durch auf sexuellem Wege übertragene Infektionen sowie durch eine Gebärmutter- oder Blasensenkung. Das ­Risiko für eine Erkrankung steigt auch durch Missbildungen der Harnröhre, Nieren- oder Blasensteine, psychische Belastungen oder das Anlegen eines (Dauer-)Katheters.

Häufig keine Symptome

Symptomatisch ist ein ständiger Harndrang (wobei jedoch immer nur kleine Mengen Urin abgegeben werden), begleitet von Brennen oder Stechen. Manchmal ist der Harn blutig und riecht stark. Die Erkrankung tritt sehr häufig auf, bleibt aber oft unerkannt, denn rund die Hälfte sämt­licher Harnwegsinfektionen verursacht keinerlei Beschwerden. Blasenentzündungen können zwar sehr unangenehm sein, sind aber meist ungefährlich. Dennoch müssen sie medizinisch behandelt werden, sonst drohen akute und chronische Nieren­beckenentzündung, bis hin zur Blasenschwäche bzw. Reizblase (Harninkontinenz).

Vergrößerte Prostata

Vergrößerte Prostata

Männer leiden vor dem 50. Lebensjahr selten unter Blasenentzündungen, bei ihnen entstehen die Probleme beim Harnlassen meist durch eine Vergrößerung der Pros­tata (Vorsteherdrüse). Aus diesem Grund haben wir in unseren Test auch Prostata­präparate einbezogen. Die Vergrößerung der Vorsteherdrüse setzt um die fünfzig ein. Die altersbedingte Prostatavergrößerung ist ein Prozess, der nicht aufzuhalten ist. In der Vorsorgeuntersuchung ist eine Abklärung der Prostatavergrößerung enthalten.

Antibiotikabehandlung hilfreich

Bei Blaseninfektionen verordnet der Arzt Antibiotika. Diese sollten unbedingt so ­lange eingenommen werden wie vom Arzt verordnet. Je nach Komplikation liegt die Anwendungsdauer bei 1 bis 7 Tagen. Bei vorzeitiger Beendigung der Therapie kann es nicht nur zu einem Rückfall, sondern auch zu einer chronischen Erkrankung kommen. Zudem können die Erreger eine Resistenz gegen das Antibiotikum ent­wickeln. Für die Therapie von Beschwerden bei vergrößerter Prostata stehen rezeptpflichtige Präparate zur Verfügung. Diese können die Symptome lindern. In sehr fortgeschrittenem Stadium ist jedoch oftmals ein chirurgischer Eingriff unumgänglich.

Rezeptfreie Mittel

Bei häufigen Blasenbeschwerden und schmerzhaften Symptomen ist eine ärzt­liche Untersuchung dringend anzuraten. In Apotheken werden allerdings auch zahlreiche rezeptfreie Präparate – vor allem pflanzliche Mittel (Phytopharmaka) – angeboten. Hauptbestandteile sind Brennnessel, Birkenblätter, Bruchkraut, Bärentraubenblätter, Orthosiphonblätter, Schachtelhalm, Goldrutenkraut, Hau­hechel, Kürbissamen und Sägepalmenfrüchte. Wir haben insgesamt 24 Arzneimittel zur Behandlung von Harnwegs- und Prostataleiden, die in österreichischen Apotheken rezeptfrei erhältlich sind, unter die Lupe genommen. Ebenfalls im Test: ein ausschließlich über Apotheken ver­triebenes Nahrungsergänzungsmittel, ein diät­etisches Lebensmittel und zwei in ­Dro­geriemärkten erhältliche Nahrungs­ergänzungsmittel. Bei sämtlichen Mitteln handelt es sich um pflanzliche Produkte in Form von Lösungen, Tees, Tabletten und Kapseln.

Präparate

Präparate bei Blasen- und Nierenbeschwerden 

Kein einziges der getesteten Präparate ­gegen Blasenbeschwerden erachten wir als für die Behandlung geeignet. Teilweise ist die therapeutische Wirkung nicht nachgewiesen, teilweise handelt es sich um nicht sinnvolle Wirkstoffkombinationen (diverse Blasen- und Nierentees). Besonders problematisch sind Präparate mit Bestandteilen, bei denen nicht vollständig geklärt ist, inwieweit durch die Einnahme gesundheitsschädliche Wirkungen auftreten können. Dies betrifft Mittel, die Bärentraubenblätter oder Wacholderbeeren enthalten. Für eine Langzeitbehandlung mit Bärentrauben­blättern fehlen Daten, dass krebserregende und erbgutverändernde Wirkungen sicher auszuschließen sind. Bei den getesteten Twardy Wacholderbeerölkapseln ist eine Nierenschädigung bei einer Langzeit­behandlung nicht sicher auszuschließen.

Präparate bei Prostatavergrößerung 

Kaum besser als die Blasen- und Nierenmittel schneiden die getesteten Präparate zur Behandlung von Beschwerden ab, die in Zusammenhang mit einer gutartig vergrößerten Prostata auftreten. Mittel, die Brennnessel, Goldrute, Birkenblätter- oder auch Kürbisbestandteile sowie Pollen­extrakt enthalten, stufen wir als wenig geeignet ein, da die therapeutische Wirkung nicht ausreichend nachgewiesen ist. Einzig bei Präparaten, die als alleinigen Bestandteil Extrakte aus Sägepalmenfrüchten enthalten (Prostasan und Prosta Urgenin Kapseln) deuten Kurzzeitstudien an, dass sie die Beschwerden lindern können. Unklar ist derzeit noch, ob die Mittel auch die Komplikationsrate zu senken vermögen. Wir bewerten sie deshalb als mit Einschränkung geeignet.

Vorsicht bei Antibiotika

Fazit: Nahezu alle Präparate (Arzneimittel, Nahrungsergänzungsmittel und Diätetika) sind zur Behandlung der beanspruchten Indikationen wenig geeignet. Bei den Pros­tatamitteln konnten gerade einmal die ­beiden Sägepalmenmonopräparate als mit Einschränkung geeignet bewertet werden. Setzt man ein Antibiotikum gleich­zeitig mit harntreibenden Phytopharmaka (z.B. Tees) ein, ist mit einer rascheren Ausscheidung des Antibiotikums zu rechnen. Das reduziert dessen Wirksamkeit und erhöht die Gefahr von Resistenzbildungen. Die Wirkung der ­Antibabypille kann durch ent­wässernde Blasenpräparate ebenfalls re­duziert werden. Von sogenannten Entschlackungs- und Entgiftungskuren, die in Zusammenhang mit den besprochenen ­Erkrankungen angeboten werden, raten wir dringend ab.

Tabelle: Mittel bei Blasen- und Nierenbeschwerden

Tabelle: Mittel bei Prostatabeschwerden

Preiselbeerpräparate

Besonders modern sind derzeit Preiselbeerpräparate zur unterstützenden Behandlungen von Harnwegsinfekten der Frau. Die Mittel werden als Nahrungsergänzungsmittel oder Medizinprodukte angeboten. Vorliegende Studien lassen eine abschließende Bewertung dieser Produkte nicht zu. Eine kleinere lebensmittelchemische Untersuchung hat gezeigt, dass die Zusammensetzung von Wildpreiselbeeren als auch von Kulturheidelbeeren sehr unterschiedlich ausfällt. Daher können wir Behauptungen nicht nachvollziehen, die Wildpreiselbeeren im Vergleich zu in Kultur gezogenen Beeren eine bessere Wirksamkeit attestiert, nicht nachvollziehen. Für die Anwendung von Preiselbeerblättern liegt eine amtliche Negativmonografie vor, das bedeutet, dass die Wirksamkeit derartiger Präparate nicht belegt ist.

Tipps zur Vorbeugung

  • Viel trinken („Durchspülung“) hemmt die Besiedelung der Harnröhre mit Bakterien.
  • Harn nicht zu lange zurück halten, weil eine starke Blasenfüllung die Abwehr von Bakterien schwächt.
  • „Richtige“ Toilettenhygiene: Immer von vorne (Damm) nach hinten (After) reinigen.
  • Intimsprays, Schaumbäder und desinfizierende Lösungen und schärfere Seifen vermeiden. Diese schädigen Haut und Schleimhaut  im Bereich der Geschlechtsorgane und begünstigen die bakterielle Besiedelung.
  • Bei Ausfluss immer einen Arzt konsultieren, da die Gefahr einer Infektion erhöht ist.
  • Blase unmittelbar nach dem Geschlechtsverkehr entleeren.
  • Viele Bewegung.
  • Meiden von Kälte.
  • Keine alkoholische Getränke konsumieren.

Zusammenfassung

  • Ärztliche Abklärung. Bei regelmäßigen Blasenbeschwerden und bei schmerzhaften Symptomen ist eine ärztliche Untersuchung erforderlich. Von einer Selbstmedikation ist dringend abzuraten.
  • Präparate. Kein einziges der von uns getesteten Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel oder diätetischen Lebensmittel wurde mit geeignet bewertet.
  • Antibiotika. Bei einer Behandlung mit Antibiotika sollten harntreibende Präparate nicht eingenommen werden, da sie die Wirksamkeit des Antibiotikums vermindern können.

Testkriterien

Hinweise zur Bewertung 

Grundlage dieses Tests ist das Handbuch „Medikamente“, für das ein Expertengremium der Stiftung Warentest Arzneimittel auf Basis von Literaturrecherchen beurteilte. Hier finden Sie die Methoden.

  • Geeignet sind Mittel (Standardtherapeutika), deren therapeutische Wirksamkeit ausreichend nachgewiesen ist. Ihre Nutzen-Risiko-Abwägung fällt positiv aus. „Geeignet“ sind auch Kombinationsmittel, deren Wirkstoffe sich sinnvoll ergänzen.
  • Auch geeignet sind Mittel, deren therapeutische Wirksamkeit ebenfalls nachgewiesen ist, die aber Konservierungsmittel enthalten oder noch nicht lange genug erprobt sind.
  • Mit Einschränkung geeignet sind Mittel, die therapeutisch wirksam sind, aber im Vergleich zu Standardtherapeutika ein höheres oder nicht gut einschätzbares Risiko bergen.
  • Wenig geeignet sind Mittel, deren therapeutische Wirksamkeit nicht ausreichend belegt ist, die nicht ausreichend dosiert sind, deren therapeutische Wirksamkeit im Verhältnis zu den Risiken zu gering ist sowie Mittel mit mehr als einem Wirkstoff, deren Wirkstoffe sich nicht sinnvoll ergänzen oder keinen zusätzlichen therapeutischen Nutzen aufweisen.

Keine Bewertung

Anthroposophische, homöopathische und traditionell angewendete Mittel lassen sich nach den Grundsätzen unseres Tests nicht bewerten.

Testkriterien bei Medikamenten

So bewerten wir Medikamente.

Grundlagen der Bewertung

Basis unserer Arzneimittelbewertungen ist die veröffentlichte internationale und nationale Literatur. Anhand von allgemein anerkannten und aktuellen Werken der klinisch-pharmakologischen und medizinisch-therapeutischen Standardliteratur wurde die Eignung der jeweiligen Arzneimittel für die Indikationen beurteilt, die der Hersteller für sein Mittel beansprucht. Die Bewertung wurde auch mit Blick auf die übrigen in dem jeweiligen Anwendungsbereich angebotenen Arzneimittel vorgenommen und daraufhin, ob die Behandlung mit einem Arzneimittel überhaupt sinnvoll ist.

Zusätzlich zur Standardliteratur wurden veröffentlichte und geeignete klinische Studien ausgewertet, um die Aktualität der Bewertung sicherzustellen. Diese „Primärliteratur“ konnte aber nur dann genutzt werden, wenn die Studien in anerkannten medizinischen Zeitschriften veröffentlicht wurden, in denen vor der Veröffentlichung ein Expertengremium (Review Board) die Qualität der Publikation geprüft hat.

Wirksamkeitsnachweis

Der Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit eines Präparats gilt in klinischen Studien dann als erbracht, wenn mehrere Institutionen unabhängig voneinander unter wissenschaftlich anerkannten und reproduzierbaren Bedingungen in kontrollierten Studien zu gleichartigen Ergebnissen gelangt sind. Klinische Studien, die zur Bewertung herangezogen werden, müssen

  • prospektiv,
  • randomisiert,
  • kontrolliert,
  • mit vorab definierten und
  • der Fragestellung angemessenen Endpunkten sowie
  • mit einer adäquaten statistischen Auswertung versehen sein.

Dabei bedeutet prospektiv, dass die Studien als Verlaufsstudien „in die Zukunft“ hinein durchgeführt werden, und randomisiert, dass die Patienten den Behandlungsgruppen nach dem Zufallsprinzip zugeteilt werden müssen.

Kontrollierte Studien sind Untersuchungen, in denen eine Patientengruppe das neu zu prüfende Arzneimittel (Verum) erhält und weitere Patientengruppen ein bereits lange in seinem Nutzen bestätigtes, gleichartig wirkendes Mittel (Standard) oder ein wirkstofffreies Scheinmedikament (Plazebo). Aus den Unterschieden der therapeutischen Effekte – sowohl bezüglich der erwünschten als auch der unerwünschten Wirkungen – können dann die therapeutische Wirksamkeit, aber auch der Stellenwert des geprüften Mittels in der Therapie der Krankheit insgesamt bestimmt werden.

Doppelblindstudien

Prüfungen ohne Kontrollgruppe können bis auf wenige Ausnahmen – zum Beispiel wenn sich eine Plazebobehandlung aus ethischen Gründen verbietet – nicht als Nachweis einer therapeutischen Wirksamkeit anerkannt werden. Eine besonders sichere Basis zur Bewertung bieten Doppelblindstudien, in denen zunächst weder die behandelnden Ärzte noch die Patienten wissen, ob ein wirkstoffhaltiges oder wirkstofffreies Mittel angewendet wird.

Die Fragestellung, die untersucht wird, muss therapeutisch relevant sein und vorab definiert werden. Möglicherweise werden im Studienverlauf positive Effekte erkennbar, die zu prüfen gar nicht beabsichtigt war. Diese können nachträglich nicht als durch die Studie nachgewiesen geltend gemacht werden.

Schließlich müssen auch noch die untersuchten Endpunkte der Studie der Fragestellung angemessen sein (zum Beispiel die Reduzierung der Sterblichkeit an definierten Folgeerkrankungen durch die Senkung des zu hohen Blutdrucks).

Statistik allein genügt nicht

Ein Wirksamkeitsnachweis kann auf der Basis der statistischen Auswertung als Aussage mit einer geringen, nach internationaler Übereinkunft festgelegten Irrtumswahrscheinlichkeit (weniger als 5 Prozent) formuliert werden. Statistisch gesicherte Ergebnisse von Effekten, deren medizinisch-therapeutischer Nutzen umstritten ist, können zum Nachweis einer therapeutischen Wirksamkeit nicht als ausreichend anerkannt werden. Die klinische Relevanz ist höher zu bewerten als die alleinige statistische Signifikanz.

Plazeboeffekt

Um die therapeutische Wirksamkeit eines Arzneimittels zu prüfen, werden so genannte randomisierte kontrollierte klinische Studien durchgeführt. In diesen werden die Testpersonen nach dem Zufallsprinzip auf zwei Gruppen verteilt: Die einen werden mit dem zu prüfenden Arzneistoff behandelt, die anderen bekommen ein Mittel, das sich von dem Medikament äußerlich nicht unterscheidet, aber keinen Wirkstoff enthält – ein Scheinmedikament (Plazebo).

Weder die Patienten noch die Ärzte wissen, wer das richtige und wer das Scheinmedikament erhält. Alles andere jedoch, was zur Behandlung dazugehört, ist bei beiden Gruppen gleich: die Art der Betreuung durch die Ärzte, die Zeit, die die Behandelnden aufwenden und so weiter. Erst wenn die Effekte der Therapie ermittelt und dokumentiert sind, wird aufgedeckt, wer den Arzneistoff und wer das Scheinmedikament bekommen hat.

Mit dieser Vorgehensweise soll geklärt werden, welcher Anteil der beschriebenen Effekte tatsächlich dem Arzneimittel zuzuschreiben ist und was auf dem Prozess des Behandelns an sich beruht. Schließlich kann bereits das Gefühl, behandelt zu werden, Beschwerden lindern, und die Hoffnung, dass nun alles besser wird, kann die Heilung vorantreiben. All dies gehört zu dem so genannten Plazeboeffekt; dieser ist also mehr als die Wirkung des Scheinmedikaments.

Das Ausmaß des Plazeboeffekts schwankt je nach Art der Krankheit und Anordnung der Studie erheblich. Er kann zwischen 20 und 70 Prozent liegen. Das bedeutet, dass manchmal 20 Prozent der Kranken nach einer Scheinbehandlung eine Besserung vermelden, manchmal sogar 70 Prozent. In ähnlicher Häufigkeit treten auch unerwünschte Wirkungen nach Plazebos auf

Kombinationspräparate

Arzneimittel mit mehreren Wirkstoffen (Kombinationspräparate) bieten im Vergleich zu solchen mit nur einem Wirkstoff (Monopräparate) nur selten Vorteile. Die Arzneimitteltherapie erfordert aber in der Regel die individuelle Dosierung einzelner Wirkstoffe. Für die Bewertung solcher fixen Kombinationen muss daher zunächst beurteilt werden, ob die Mischung der einzelnen Komponenten zweckmäßig ist. Wenn dieses Urteil nicht positiv ausfällt, erübrigt sich ein Wirksamkeitsnachweis, da die jeweilige Kombination grundsätzlich nicht als sinnvolles Arzneimittel anerkannt werden kann, gleich, in welchem Anwendungsbereich.

Für die Bewertung fixer Kombinationen haben sich international als Standard die so genannten Crout’schen Kriterien bewährt. (J. R. Crout war in den 70er Jahren Direktor der amerikanischen Zulassungsbehörde Food and Drug Administration.) Diese Kriterien tragen den Erfordernissen der praktischen Anwendung von Arzneimitteln Rechnung: Sie werden der Forderung nach Unbedenklichkeit und Sicherheit von Arzneimitteln ebenso gerecht wie dem Problem des Missbrauchs und der möglichen Vorteile im Hinblick auf die richtige Anwendung (Compliance).

Wenn zum Beispiel ältere Menschen im Verlauf eines Tages mehrere Wirkstoffe einnehmen müssen, kann es hilfreich sein, sie als Kombination zu verabreichen, um damit die Einnahme der notwendigen Arzneimittel zu vereinfachen. Die Crout’schen Kriterien beabsichtigen also keineswegs, jegliche Anwendung von fixen Kombinationspräparaten zu verhindern. Nach diesen Kriterien gilt die Kombination von Inhaltsstoffen in Arzneimitteln als sinnvoll, wenn nachgewiesen ist, dass

  • jeder einzelne Inhaltsstoff in Bezug auf das beanspruchte Anwendungsgebiet therapeutisch wirksam ist und
  • die Dosierung jedes einzelnen Inhaltsstoffs im Hinblick auf die Höchstdosierung, die Anwendungshäufigkeit und -dauer so bemessen ist, dass eine nennenswerte Patientenanzahl einer solchen fixen Kombination bedarf und sie wirksam und unbedenklich (im Sinne des Verhältnisses von Nutzen zu Risiko) ist, und
  • die zugefügten Inhaltsstoffe die Wirksamkeit und/oder Unbedenklichkeit des Hauptinhaltsstoffs erhöhen oder die Möglichkeit des Missbrauchs des Hauptinhaltsstoffs verringern oder
  • die fixe Kombination von Inhaltsstoffen einen größeren therapeutischen Effekt hervorruft oder größere Unbedenklichkeit bietet als jeder einzelne Inhaltsstoff für sich.

Crout´sche Kriterien

Diese Aspekte sind im deutschen Arzneimittelgesetz berücksichtigt. Die Crout’schen Kriterien wurden auch bei unseren Bewertungen angewendet, um Kombinationspräparate auf ihre zweckmäßige Zusammensetzung zu prüfen. Erst wenn das Ergebnis dieser Prüfung positiv war, kam die möglicherweise nachgewiesene Wirksamkeit des Mittels für die therapeutische Behandlung zum Tragen. Dass zum Beispiel eine Kombination aus zwei Schmerzwirkstoffen schmerzdämpfend wirkt, kann nicht erstaunen. Die Frage aber, ob es sinnvoll ist, diese Schmerzwirkstoffe zu kombinieren, muss über die Anwendung der Crout’schen Kriterien geprüft werden. Die Antwort spiegelt sich in den Bewertungen der einzelnen fixen Arzneimittelkombinationen wider.

Aus unserer Sicht gelten diese Kriterien für Präparate mit chemisch-synthetischen Wirkstoffen und Präparate mit pflanzlichen Extrakten gleichermaßen. Vor allem, wenn für einzelne Komponenten Negativurteile vorliegen, muss durch vergleichende klinische Studien nachgewiesen werden, dass die Kombination mit der negativ bewerteten Komponente ein therapeutisch besseres Ergebnis erzielt als eine Kombination ohne diese Komponente. Nur dann kann der therapeutische Wert der Kombination möglicherweise anerkannt werden.

Darüber hinaus gibt es bei Kombinationspräparaten noch eine Sichtweise, die auf pharmakologischen Sachverstand gründet. Der Aufbau einer Studie, die die therapeutische Wirksamkeit eines Mittels mit mehr als drei Wirkstoffen belegen soll, ist derart kompliziert, dass sie kaum je durchgeführt werden wird. Darum haben sich die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland darauf geeinigt, Kombinationspräparate mit mehr als drei Wirkstoffen als nicht verordnungsfähig anzusehen.

Unterschiede zu anderen Beurteilungen

Es ist denkbar, dass mit anderen Methoden und durch die Beschränkung auf die Zulassungsanforderungen des Arzneimittelgesetzes oder mit anderen Prüfkriterien sich auch andere Beurteilung ergeben als die hier nachlesbaren. Dies kann sich auch auf die Arbeit des deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte beziehen, das unter Betrachtung der Daten zu Einzelarzneimitteln Zulassungsentscheidungen trifft. Das Institut berücksichtigt vor allem den Nachweis der Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutischen Qualität sowie die Zweckmäßigkeit der Kombination bei einem einzelnen Arzneimittel (absoluter Nutzen). Es darf weder geprüft werden, ob dieses neue Mittel in Relation zum verfügbaren Markt aus therapeutischen Gründen überhaupt erforderlich ist, noch welchen Rang es unter den Alternativen einnimmt.

STIFTUNG WARENTEST und Verein für Konsumenteninformation berücksichtigen mit ihren Bewertungen aber auch die therapeutische Stellung der Arzneimittel bestimmter Indikationsbereiche zueinander (relativer Nutzen) und gehen damit über die Zulassungskriterien des Bundesinstituts hinaus, sind also strenger.

Für bestimmte Arzneimittelgruppen, so zum Beispiel für viele pflanzliche Mittel, liegen nur vereinzeltes Erfahrungswissen und andere kaum prüfbare Therapieberichte vor, die zudem in Zeitschriften unterschiedlicher Qualität veröffentlicht sind. Die von uns verwendete Methodik lässt dann kaum eine positive Bewertung dieser Mittel zu.

Bewertung gemäß Anwendungsgebiet

Es besteht der Grundsatz, dass jedes Produkt für das Anwendungsgebiet bewertet wird, für das es laut Herstellerangaben eingesetzt werden soll. Im Idealfall sollte es also so sein, dass die Bezeichnung der Krankheit oder Störung, die der Hersteller in der Packungsbeilage angibt, und die, unter der der Wirkstoff in dieser Datenbank abgehandelt wird, identisch sind. Leider sind – vor allem im Bereich der Mittel für die Selbstbehandlung – die Bezeichnungen der Hersteller keineswegs so präzise und eindeutig, wie es für eine klare Zuordnung notwendig wäre. So fassen die Hersteller ihre Indikationsansprüche zum Beispiel sehr weit. Wir haben versucht, diese Vielfalt in einer Ihnen – unserer Meinung nach – bekannten und einheitlichen Überschrift zusammenzufassen.

Darüber hinaus kommt es nicht selten vor, dass sich ein Hersteller – vielleicht aufgrund neuer Forschungsergebnisse – entscheidet, die Anwendungsgebiete seines Produkts neu zu formulieren. Dann können Präparate mit demselben Namen im Handel sein, die sich oft nur durch einen kleinen Zusatz unterscheiden, aber andere Anwendungsgebiete für sich beanspruchen und dementsprechend anders bewertet werden müssen.

Wenn in der Fachinformation einer Salbe mit Heparin steht: „Zur unterstützenden Behandlung bei akuten Schwellungszuständen nach stumpfen Traumen (zum Beispiel Zerrung, Prellung, Quetschung, Bluterguss, Verstauchung), oberflächlicher Venenentzündung, sofern diese nicht durch Kompression behandelt werden kann“, wird dieses Mittel sowohl im Abschnitt Bewegungsapparat bei „Verstauchung, Schwellung, Entzündungen“ als auch im Abschnitt Herz und Kreislauf bei „Venenerkrankungen“ besprochen und dafür bewertet. Nennt ein heparinhaltiges Produkt aber außerdem noch Frostschäden (zum Beispiel „Frostbeulen“) als Anwendungsgebiet, bleibt das unberücksichtigt, weil wir hierfür kein eigenes Anwendungsgebiet definiert haben.

Hilfsstoffe üblicherweise nicht bewertet

Hinweis: Bei der Bewertung wurden nur jene Inhaltsstoffe des Arzneimittels berücksichtigt, von denen eine therapeutische Wirksamkeit erwartet wird. Hilfsstoffe, wie sie zum Beispiel notwendig sind, um Tabletten herzustellen, gingen in die Bewertung nicht mit ein. Von dieser Regel gibt es eine Ausnahme: Augen- und Nasentropfen sind häufig mit Konservierungsmitteln versetzt. Produkte mit einem solchen Hilfsmittel wurden um eine Stufe abgewertet, wenn Konservierungsmittel an der Schleimhaut der Augen und Nase solche unerwünschten Wirkungen auslösen können, es aber Produkte gibt, die ohne einen solchen Zusatz auskommen.

Bewertungsstufen

Der Bewertung der hier aufgeführten Medikamente liegen vier Stufen zu Grunde.

  1. Geeignet für die Behandlung des jeweiligen Krankheitsbilds sind Mittel, deren therapeutische Wirksamkeit bei der betreffenden Indikation ausreichend nachgewiesen ist, die ein positives Nutzen-Risiko- Verhältnis und einen hohen Erprobungsgrad aufweisen. Der therapeutische Nutzen dieser Mittel ist hoch, sie gehören bei dieser Indikation zu den Standard-Therapeutika, soweit solche definiert werden können. Geeignet sind auch Mittel mit mehr als einem Wirkstoff, wenn sich die Wirkstoffe sinnvoll ergänzen.
  2. Auch geeignet sind Mittel, deren therapeutische Wirksamkeit ebenfalls nachgewiesen ist, die aber noch nicht so lange erprobt sind wie die als „geeignet“ bewerteten. In diese Kategorie fallen vor allem neue und weniger gut untersuchte Wirkstoffe. Mit der gleichen Bewertung wurden Arzneimittel versehen, die zum Beispiel Konservierungsstoffe enthalten, wenn allgemein die Überzeugung vorherrscht, dass Arzneimittel ohne Konservierungsstoffe die geeignete Alternative darstellen. Dies kann in ähnlicher Weise auch für andere Zusatzstoffe gelten. In diese Bewertungskategorie fallen auch Arzneimittel, die zwar noch immer als Standardpräparate gelten, in der Zwischenzeit aber von neuen, besser verträglichen Mitteln in ihrem Rang als Mittel der Wahl „abgelöst“ wurden.
  3. Mit Einschränkung geeignet sind Mittel, die zwar therapeutisch wirksam sind, aber im Vergleich zu Standard-Therapeutika ein höheres oder nicht gut einschätzbares Risiko bergen. Sie zählen daher nicht zu den Standardarzneimitteln bei den besprochenen Krankheitsbildern und werden nur unter bestimmten Bedingungen verwendet (zum Beispiel bei ganz bestimmten oder schwerwiegenden Krankheitskonstellationen). Mit dieser Bewertung werden auch jene Mittel belegt, für die nach den vorliegenden Studien die therapeutische Wirksamkeit noch nicht ausreichend nachgewiesen ist und bei denen weitere Studien erforderlich sind.
  4. Wenig geeignet sind Mittel, deren therapeutische Wirksamkeit nicht ausreichend belegt ist, die nicht ausreichend dosiert sind und/oder deren therapeutische Wirksamkeit im Verhältnis zu den Risiken zu gering ist, sodass die wahrscheinlichen Risiken mehr Gewicht haben als der mögliche Nutzen. Wenig geeignet sind darüber hinaus Mittel mit mehr als einem Wirkstoff, wenn sich die Wirkstoffe nicht sinnvoll ergänzen oder keinen oder keinen zusätzlichen therapeutischen Nutzen aufweisen.

Quelle: Handbuch Medikamente

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