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Selbsthilfegruppen - Gemeinsam gegen die Krankheit

Selbsthilfegruppen: Handeln, statt nur behandelt werden, lautet die Devise.

Sie kennen die Diagnose. Die Therapie ist festgelegt und die Behandlung schlägt auch an. Dennoch fühlen Sie sich Ihrer Krankheit – und vielleicht auch den Ärzten – irgendwie ausgeliefert. Die Mediziner mögen viel über Ihre Krankheit wissen, Verständnis werden Sie aber nur bei Leidensgenossen finden. Und genau das ist es, was viele Kranke schmerzlich vermissen.

Erfahrungsaustausch: Therapieansätze, Medikamente etc.

Der Kontakt mit einer Selbsthilfegruppe kann da Abhilfe schaffen. Hier erfahren Sie Mitgefühl im wahrsten Sinne des Wortes. Und vom Erfahrungsaustausch in der Gruppe profitieren Sie zusätzlich: Sie lernen andere Therapieansätze kennen, hören von Medikamenten, die Ihr Arzt nicht vorgeschlagen hat, die aber unter Umständen auch Ihnen helfen könnten. Es gibt schließlich viele Wege zur Heilung. Mit diesem Wissen gerüstet können Sie Ihrem Arzt ganz anders gegenübertreten – nicht als Hilfesuchender, der eine Behandlung über sich ergehen lässt, sondern als "Wissender", der sein Schicksal selbst in die Hand nimmt.

Selbsthilfe: wie alles begann

Eine der ersten Selbsthilfe-Gruppierungen waren die – religiös unterfütterten – Anonymen Alko­holiker, die sich bereits in den 1930er-Jahren in den USA erstmals zusammenfanden und inzwischen Gruppen auf der ganzen Welt ­haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg schlossen sich Kriegsopfer zu Vereinen zusammen und halfen einander, das Leben zu meistern.

Frauenbewegung gegen männlich geprägte Medizin

Später waren vor allem die Frauen aktiv. So ging es den Feministinnen der 1960er- und 1970er-Jahre nicht nur darum, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens­umstände der Frauen zu ändern und die Nachteile gegenüber dem männlichen Geschlecht zu überwinden. Sie richteten ihren Blick auch auf ihre Gesundheit und verlangten die Selbstbestimmung über ihren Körper. Denn jahrhundertelang war die Medizin männlich geprägt gewesen. Das wollten sie ändern.

Konkurrenz, Vereine, politischer Einfluss

Die Boston Women’s Health Group – so nennt sich die Gruppe aus Journalistinnen, Soziologinnen und Anthropologinnen seit ­damals – ist von einer kleinen enga­gierten Truppe, die sich am Küchentisch zusammenfand, zu einer Institution in Sachen Frauen­gesundheit geworden. Ihr Anliegen ist es, Frauen gesicherte (im Fachjargon: "evidenzbasierte") Informationen über sämtliche Themen der Frauengesundheit – von Ernährung bis Wechseljahre, von Geburtsvorbereitung bis Abtreibung – und weiblichen Sexualität zu liefern, aber auch alternative Versorgungs­angebote und Zufluchtsstätten für Gewalt­opfer zu schaffen.

Erfahrungsaustausch bei chronischen Krankheiten

Weitere Gruppen, schon bald nicht mehr ausschließlich weiblich besetzte, folgten. ­Ursprünglich ging es im wahrsten Sinne des Wortes um Selbsthilfe. Ob Asthma oder Diabetes, Rheuma oder Depressionen – bei mehr oder weniger regelmäßigen Treffen wurden Tipps zum Umgang mit meist chro­nischen Krankheiten gegeben, wurde über Erfahrungen mit Ärzten, Medikamenten oder Medizinprodukten berichtet.

Konkurrenz, Vereine, politischer Einfluss

Zu Anfang "haben die Ärzte die Gruppen noch als eine Art Konkurrenz gesehen", sagt Johannes Rampler, Geschäftsführer der ­ARGE Selbsthilfe. Zuweilen wurden sie als "wilde Patientenhorden" bezeichnet, weil sie den etablierten Medizinbetrieb kriti­sierten. Doch nach und nach gewannen die Gruppen auch politischen Einfluss. Sie begannen, sich wie Vereine zu organisieren und als veritable Interessenvertretung zu agieren.

Vor allem Ende der 1980er-Jahre, als die ersten Wirkstoffe gegen die Immun­schwächekrankheit Aids entwickelt wurden, war es auch der zunehmende Druck, der von den Selbsthilfegruppen der HIV-Positiven ausging, der zu einer rascheren Zulassung der Medikamente führte.

Die Gruppen werden professioneller

Professionalisierung im Dialog ...

Überhaupt hat sich das Selbstverständnis der Selbsthilfegruppen in den letzten Jahren geändert. Bezogen sie ihre Wirkung zu Anfang ausschließlich aus dem Laienwissen, so be­mühen sich heute viele um eine Erweiterung des medizinischen Fachwissens ihrer Mitglieder, damit diese mit ihren Ärzten ein Gespräch auf Augenhöhe führen können. Dazu organisieren sie Vorträge von Experten und weisen in ihren eigenen Zeitschriften, Newslettern oder Websites auf neue wissenschaftliche ­Erkenntnisse, hauptsächlich in der Behandlung, hin.

... mit Ärztekammer und Sozialversicherung

Damit hat eine Professionalisierung der ­Gruppen eingesetzt, die auch notwendig ist, da Mitglieder von Selbsthilfegruppen in verschiedenen Gremien des Gesundheits­wesens eine Stimme haben. Dort sitzen auch etab­lierte Interessenvertreter wie Ärzte­kammerfunktionäre oder Vertreter von Sozial­ver­sicherungsträgern, die zumeist hauptberuflich tätig sind. Da könnten Patientenvertreter ins Hintertreffen geraten, wenn sie nicht entsprechend geschult und vorbereitet sind.

Gefahr der wirtschaftlichen Vereinnahmung

Doch diese Professionalisierung birgt auch die Gefahr, dass die Gruppen instrumenta­lisiert werden – vereinnahmt von wirtschaft­lichen oder anderen Lobbys, die großes Inte­resse daran haben, dass die jeweils ihnen selbst nützlichen Informationen bei den Betroffenen ankommen. Chronisch kranke Menschen etwa sind ihr Leben lang auf Medikamente angewiesen und sozusagen die ideale Zielgruppe für das Marketing von Pharmafirmen. In Österreich gibt es 1.600 Gruppen mit gut und gern 250.000 Mitgliedern, in Deutschland 70.000 Initiativen mit drei Millionen Mit­gliedern. Wer sie auf seiner Seite hat, kann für seine Produkte von einer gewissen Unterstützungswirkung ausgehen.

Abhängig von Förderungen

Einheitliche, gesetzliche Grundfinanzierung fehlt

In Selbsthilfegruppen sind die Organisatoren zwar ehrenamtlich tätig. Doch sie benötigen Mittel, um Broschüren zu drucken, eine Web­site zu programmieren oder Veranstaltungsräume zu mieten, was nur zu einem geringen Teil aus den – nicht von allen Gruppen – eingehobenen Mitgliedsbeiträgen finanziert werden kann. Während in Deutschland die Selbsthilfe von den gesetzlichen Krankenkassen mit rund 40 Millionen Euro pro Jahr gefördert wird, fehlt in Österreich noch eine einheitliche, gesetzlich verbriefte Grund­finanzierung.

Förderung durch Wirtschaftsunternehmen

Das meiste Geld ist für die Gruppen immer noch bei einzelnen Pharmafirmen zu finden. Um nicht in Abhängigkeit zu geraten oder vor einen Karren gespannt zu werden, setzt die Förderung durch Wirtschaftsunter­nehmen jedoch klare Vereinbarungen bezüglich der Ziele und Rahmenbedingungen voraus. Zudem sollten Patienteninitiativen selbst­bewusst genug sein, Grenzen der ­Einflussnahme aufzuzeigen, um nicht dazu benutzt zu werden, für ein neues Medi­kament zu trommeln und damit – mehr oder weniger unfreiwillig – Pharmafirmen dabei zu unterstützen, das Werbeverbot für rezeptpflich­tige Medikamente zu umgehen.

Wer sind die Geldgeber?

Wer sich für die Teilnahme an einer Selbst­hilfegruppe interessiert, tut deshalb gut ­daran, nachzufragen bzw. auf der Website der Initiative unter den Rubriken "Über uns" oder "Förderer" nachzusehen, wer die Geldgeber sind und worin die Aktivitäten tatsächlich bestehen.

Virtuelle Selbsthilfe

Bei unseren deutschen Nachbarn bereits ­wesentlich gängiger, hierzulande noch im Anfangsstadium: die virtuelle Selbsthilfe in Form von Internetforen. Sie hat den Vorteil, dass man nicht auf ein vereinbartes Treffen warten muss, sondern immer Gleichgesinnte findet, die im Netz mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Keine Distanz zu überwinden

Es gibt auch keine Distanzen zu überwinden, was für Menschen mit ­körperlichen Einschränkungen oder Angstproblemen hilfreich ist. Auch die Vorbehalte von Menschen, die sich in dörflicher Um­gebung mit ihrer Krankheit nicht outen ­wollen, fallen weg. Und gerade für Patienten mit seltenen Erkrankungen können Inter­netforen die einzige ­Möglichkeit sein, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. ­Etliche Selbsthilfegruppen ­betreiben mittlerweile auch Internetforen, wo die Mitglieder miteinander kommunizieren können.

Anonyme Informationsquellen, Werbeinhalte

Doch es gibt auch ausschließlich virtuelle ­Foren. Dort weiß man allerdings mitunter nicht, auf wen man tatsächlich trifft. Wer kann schon sagen, wer hinter dem Pseu­donym rali7 oder honzo_for_good steckt und ob die Tipps, die man von dort bekommt, sinnvoll sind? Auch ist auf solchen Plattformen, wie überall im Netz, oft nicht zwischen Werbung und ­anderen Inhalten zu unterscheiden.

"Man kann sich nicht umarmen"

Und ein Aspekt, der in der Selbsthilfe sehr wichtig ist, fehlt im weltweiten Netz: "Man kann sich nicht umarmen", sagt Johannes Rampler von der ARGE Selbsthilfe.

Kontaktadressen

www.selbsthilfe.at
Website mit Infos und vielfältigen ­Suchmöglichkeiten

ARGE Selbsthilfe
Simmeringer Hauptstraße 24, 1110 Wien
Tel. 01 740 40-2855
E-Mail: arge@selbsthilfe-oesterreich.at
www.selbsthilfe-oesterreich.at

Fonds Gesundes Österreich
Aspernbrückengasse 2, 1020 Wien
Tel. 01 895 04 00
E-Mail: fgoe@goeg.at
www.fgoe.org (> Initiativen > Selbsthilfe)

Buchtipp: "Umgang mit Ärzten"

Der mündige Patient: selbstständig und kompetent soll er sein. Doch auf welche Informa­tionen kann der medizinische Laie vertrauen? Wie findet er überhaupt den richtigen Arzt? Unser Buch gibt Hilfestellung und zeigt, welche Möglichkeiten bestehen, die (Mit-)Verantwortung als Patient konstruktiv wahrzunehmen.

www.konsument.at/aerzte

Aus dem Inhalt

  • Seriöse Information erkennen
  • Den richtigen Arzt finden
  • Was hilft bei der Therapieauswahl?
  • Arztgespräch und Spitalsaufenthalt
  • Der Nutzen von Selbsthilfegruppen
  • Hilfe bei Behandlungsfehlern

132 Seiten, 14,90 € + Versand

KONSUMENT-Buch: Umgang mit Ärzten (Bild:VKI)  

Leserreaktionen

Kleine Gruppen wenig bekannt

Ihr Beitrag über Selbsthilfegruppen hat mich als Gruppenleiter einer Selbsthilfegruppe Schlafapnoe gefreut. Weniger glücklich für uns ist die Tatsache, dass Schlafapnoe (Atemstillstand im Schlaf) auf der Homepage der ARGE Selbsthilfe nicht zu finden ist. Der Grund ist, das unsere Gruppe vorerst nur in 4 Bundesländern tätig ist, bei der ARGE werden aber laut Fachstandards nur Gruppen aufgenommen, die in mindestens 5 Bundesländern tätig sind. Kleine Selbsthilfegruppen werden hier nicht gefunden.

Krankheiten, die keine Pharmazeutika benötigen – wie Schlafapnoe –, werden leider von der Pharmaindustrie nicht unterstützt. Nur bei www.selbsthilfe.at kann man unter „Schlafapnoe“ in der Suche unsere Homepage finden. Zudem gibt es in jedem Bundesland einen Dachverband der Selbsthilfegruppen. Dort findet man alle eingetragenen Selbsthilfegruppen, die im betreffenden Bundesland registriert sind.

Wir sind z.B. in Wien, Niederösterreich, Burgenland und Oberösterreich registriert und auf der Homepage vom Dachverband zu finden, in Tirol und der Steiermark gibt es beim Dachverband einen Hinweis auf eine lokale Selbsthilfegruppe Schlafapnoe.

Josef Hoza
Gruppenleiter Selbsthilfegruppe Schlafapnoe
E-Mail
(aus KONSUMENT 7/2013)

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Gefördert aus Mitteln des Sozialministeriums 

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