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Werbefahrten - Auf Shoppingtour in der Einöde

Was als Besichtigungstour zum ersten Wiener Schokolademuseum des bekannten Wiener Konfiserie-Herstellers Heindl angepriesen wurde, mutierte urplötzlich zu einer mehrstündigen Verkaufsfahrt auf den Hafnerberg in Niederösterreich. „Konsument“ war dabei.

Dienstag um halb acht

Es ist Dienstagmorgen in Wien, 7 Uhr 30. Eine eher unchristliche Zeit für eine Firmenbesichtigung. Das Inserat in der Tageszeitung war aber klar und deutlich: ein Euro für die Fahrt mit einem Bus zum „Ersten Wiener Schokolademuseum“ der Firma Heindl, inklusive Besichtigung und Geschenk.

Der Bus von Huber Reisen fährt pünktlich in der Reinprechtsdorfer Straße in Wien-Margareten – dem vorgesehenen Treffpunkt – ein. Rund 40 Pensionisten sitzen bereits in den wohlig warmen Sitzen, davon wissen etwa die Hälfte, was sie an diesem Tag erwarten wird.

Plötzlich biegt der Bus zur Autobahn ab

Der Bus rollt gemütlich Richtung Liesing – und biegt plötzlich ab. Aber nicht zum Schokolademuseum, sondern in Richtung Südautobahn, und er nimmt Kurs auf Mayerling. Die älteren Herrschaften sehen’s gelassen. „Einmal im Jahr machen wir eine solche Fahrt. Das ist eine willkommene Abwechslung für uns, außerdem können wir – meine Freundin und ich – die Reise gemeinsam genießen“, meint eine ältere Dame in der letzten Reihe.

Man gönnt sich ja sonst nichts

Man gönnt sich ja sonst nichts. Sie scheint Fahrten dieser Art schon öfter erlebt zu haben. Mittlerweile ist der Bus von der Autobahn abgefahren. Wenige Häuser, Felder, kaum Menschen zu sehen. Dann ein Ortsschild: Hafnerberg. Der Bus hält vor einem Wirtshaus. „Gasthaus zum kleinen Semmering“ steht auf dem Schild an der Mauer.

Zum Vortrag der Firma Henkel

Der Buschauffeur fordert nun seine Passagiere auf, das Fahrzeug zu verlassen: „Sie werden von uns zu einem Frühstück und einem Mittagessen eingeladen und werden dann einen Vortrag der Firma Henkel hören. Herr Werner wird Ihnen alles über die neuen Produkte erzählen. Anschließend fahren wir zur Firma Heindl und besichtigen das Museum.“

Einladung zum Frühstück war letztlich selbst zu bezahlen

Ein Raunen geht durch den Bus: Die Hälfte der Insassen ist irritiert. „Fahren wir denn nicht zu Heindl?“ Doch, meint der Chauffeur, aber erst etwas später. Der Tross setzt sich in Bewegung, bezahlt die Fahrtspesen von einem Euro und betritt das Wirtshaus. In einem größeren Saal im hintersten Teil des Lokals wurden lieblos mehrere Tische zusammengestellt – teilweise sogar ohne Tischtücher.

Die Leute verteilen sich, während eine schlecht gelaunte Kellnerin ihnen zuruft: „Was wollen Sie frühstücken? Tee oder Kaffee? Und jetzt setzen Sie sich endlich!“ Die Gruppe nimmt Platz, nicht ohne vorher gefragt zu haben, ob denn das Frühstück wirklich ein Geschenk sei. „Nicht dass ich wüsste, das müssen’S selber zahlen“, meint die Kellnerin schnippisch.

Herr Werner aus Ostfriesland

Nun betritt auch Herr Werner den Saal: Er ist in Lederhose und Trachtenhemd gekleidet, sehr behäbig und kommt aus Ostfriesland, lebt aber – so erzählt er freimütig – zwischen Bratislava und irgendwo in Spanien. Und er wird die kommenden vier Stunden eine Produktpräsentation machen. „Meine Damen und Herren, wir nehmen jetzt ein Frühstück ein, und dann werde ich mit meiner Präsentation beginnen“, tönt er. Er ist Mitarbeiter der Firma Henkel Versand aus Deutschland. Ein Raunen geht durch den Saal.

„Zur Schokoladefabrik, nicht zur Verkaufsschau!“

Ein Teil der Gruppe ist sichtlich frustriert und protestiert: „Wir wollen zu Heindl fahren, keine Präsentation sehen.“ „Gut, dann sind Sie ab jetzt nicht mehr meine Gäste und verlassen augenblicklich den Saal. Ich will mit Ihnen nichts zu tun haben“, schimpft Herr Werner, dem nun auch schön langsam der Kragen platzt.

Wer seine Präsentation stören will, soll doch einfach gehen. Der Buschauffeur wird die „ausgeladenen Gäste“ wieder zurück nach Wien bringen, sagt er. Der Buschauffeur denkt gar nicht daran. Herr Werner begibt sich an die Schank und telefoniert wild gestikulierend herum. Mittlerweile ist es zehn Uhr. Und zehn Personen warten im Bauernstübchen des Wirtshauses darauf, dass sie wieder nach Wien gefahren werden.

Teure Staubsauger und Salben

Währenddessen präsentiert Herr Werner für den Henkel Versand die „Dampfhexe“ – einen stinknormalen Staubsauger – um wohlfeile 739 Euro. „In Wien kosten diese Dinger 5000 bis 6000 Euro.“ Er scheint Euro mit Schillingen zu verwechseln, aber der verbliebene Teil der Gruppe widerspricht nicht. Werners weitere Ausführungen: „Der Henkel Versand hat natürlich auch Sponsoren, aber die sponsern nur, was im Hintergrund passiert. Ist ja auch klar.“ Natürlich ist es klar: Die Produktpreise sind eindeutig um das Drei- bis Vierfache erhöht.

Aloe-Vera-Geschenkpaket um 500 Euro

Weiters führt Herr Werner ein „Aloe-Vera“-Geschenkpaket vor, das Reinigungsmilch, Duschgel und Badezusatz um 500 Euro enthält. „Eine Mezzie“, meint er. Die Produkte würden einzeln noch teurer kommen, stammen sie doch aus Spanien und werden aus „Aloe Vera-Pflanzen“ gewonnen. Das ist natürlich teuer in der Herstellung, meint Werner. Dann folgen ein Tischsauger um 248 Euro, eine entzündungshemmende Salbe („Immortal“) um 50 Euro und eine Spezial-Aloe-Vera-Creme um 179 Euro für 450 Milliliter. Werner kann natürlich überall „Zertifikate“ ausstellen. Die Produkte würden nach Hause geliefert, bezahlen muss man jedoch sofort oder in sechs Monatsraten.

Unterschrieben und gleich eine Reise gewonnen ...

In der halbstündigen Pause unterschreiben mindestens zehn Personen einen Kaufvertrag. Den meisten gefällt die „Dampfhexe“. Es folgt das Mittagessen. Dann wird weiter vorgeführt. Nun gibt es für all jene, die gekauft haben, Lose. Einer gewinnt eine Reise nach Spanien – einzulösen bis Oktober 2003, dann verfällt sie.

Außerdem gibt es zu jedem Kosmetikprodukt ein Parfum zusätzlich (Black Onyx „Immortal Love“ – ein No-Name-Produkt). Auch Reisen bietet der Henkel Versand an: vorwiegend nach Spanien. Um 14 Uhr 30 ist der Verkaufsspuk vorüber.

15 Uhr: kurze Führung durchs Schokolademuseum

Der Buschauffeur geleitet die Gruppe wieder zum Bus und fährt Richtung Wien. Ein Teil der Fahrgäste ist erleichtert. Um 15 Uhr gelangt man endlich ans eigentliche Reiseziel, der Bus hält vor dem Heindl-Gebäude in der Willendorfer Gasse in Wien Liesing.

Der Tag ist gelaufen

Der Tag ist gelaufen. Auf zur Besichtigung! Diese dauert rund eine halbe Stunde. Juniorchef Andreas Heindl reagiert, von „Konsument“ mit dem zuvor Erlebten konfrontiert, gelassen: „Wir haben selber schon einige Werbefahrten mit Huber Reisen gemacht, und uns hat es gefallen. Man muss ja nichts kaufen.“

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