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Schlafwagen - Wie gerädert

Wie schläft sich’s im Schlafwagen?
Ein Selbstversuch mit schweren Gliedern und roten Augen.

Schlafen im Schlafwagen will gelernt sein“, so Dr. Erich Forster, Leiter des Personenverkehrs der ÖBB. Echte Profis, die wie er mehrmals monatlich die Nacht im Schlafwagen verbringen, schlummern angeblich zufrieden wie ein Ungeborenes im Mutterleib. Schlafwagen-Anfänger haben es schwerer: unroutiniert, werden sie von Geräuschen aufgeschreckt, vom Rütteln aus dem Schlaf gerissen, wälzen sich von einer Seite auf die andere (sofern das bei der Bettbreite ohne Absturz möglich ist) und zählen statt Schäfchen die Minuten, Stunden und Bahnhöfe, bis das morgendliche Klopfen des Zugbegleiters Ankunft am Zielbahnhof und damit Erlösung verspricht.

Bienenwaben

Schlafentzugs-Erlebnisse im Schlafzug hatten im Bekanntenkreis die Runde gemacht. Diese neuen Schlafwagen wären das Problem. Wie bei Bienenwaben wären die Kojen eng neben- und übereinander geschichtet, mit dem ausschließlichen Ziel, möglichst viele Betten auf möglichst geringem Raum unterzubringen. Fahrende Schlafwaben, in denen man ohne Kompromiss ausschließlich zum Schlafen verurteilt sei, denn für andere Formen des menschlichen Aufhaltens gebe es keinen Platz.

Mit der „Schlafwabe“ nach Feldkirch

Für jemanden, dem auf dem Beifahrersitz eines Autos sofort die Augen zufallen, für den enge Sitze im Flugzeug komfortable Schlaffauteuils sind und für den es nichts Schöneres gibt, als im Bauch eines Schiffes wohlig in den Schlaf geschaukelt zu werden, kann schlafen im Schlafwagen kein Problem sein. Denn auch bei Zugfahrten im Zweite-Klasse-Abteil sinkt der mitgeführte Lesestoff bald auf die Knie. Also auf zum Schlafversuch auf der Schiene; eine Motorradtour, begonnen mit dem Autoreisezug. Die Tourenplanung war schnell erledigt, denn außerhalb der Sommersaison führen die ÖBB nur einen einzigen Autoreisezug mit Schlafwagen: Abfahrt täglich Wien-Westbahnhof 22.15 Uhr, Ankunft in Feldkirch/Vorarlberg 07.17 Uhr.

Klassen-Gesellschaft

In der Sechs-Klassen-Gesellschaft des Bahnreisens im Schlaf reicht das Angebot von 270 Schilling im Sechsbett-Liegewagen bis zum Einbett-De-Luxe-Schlafwagen um 1820 Schilling (Bett, Tisch, Stuhl, Dusche/WC). Der gewählte Mittelweg heißt Zweibett-Abteil um 850 Schilling pro Pyjama, macht mit Bahnkarte und Motorrad 1968 Schilling für eine einfache Fahrt nach Feldkirch.

„Platzoptimierte“ Konstruktion

Das ist die Strecke, auf der ausschließlich die Schlafwaben verkehren, in der ÖBB-Fachsprache als Doppelstockschlafwagen bezeichnet. Sie wurden, so Dr. Forster, „platzoptimierend“ konstruiert; zum Vorteil der Fahrgäste, denn dadurch wären sie preisgünstiger. Der optimierte Platz ist schon bei der Suche nach dem reservierten Abteil spürbar, mit Topcase, Tankrucksack und Helm in einem schmalen Gang, in dem auch andere Reisende samt Gepäck ihr Abteil suchen.

Stau im Verkehrsmittel

Schlafen zu ebener Erd’ und im ersten Stock, oder besser: im Keller und im ersten Stock. Alle paar Meter gibt es eine Art Wendeltreppe, die hinunter zu zwei nebeneinander liegenden Kategorie A-Schlafeinheiten oder hinauf zum De-Luxe-Schlafen führt. Mag das Verkehrsmittel Bahn staufrei vorankommen, innerhalb des Verkehrsmittels treten die Staus umso häufiger auf. Die Wendeltreppen entwickeln sich zu den neuralgischen Verkehrsknoten, Stauraum ist doppelt knapp. Vor dem Abteil und vor allem im Abteil: zwei Liegen übereinander, davor gerade Platz für eine Person zum Stehen. Beim Doppelstockschlafwagen wurde der Platz auch höhenmäßig optimiert, Sitzen auf der unteren Liege ist für eine Person über 120 cm Körpergröße unmöglich.

Einer muß immer draußen bleiben

Nach ausführlicher Suche findet sich ein Kästchen, das Platz für zwei Motorradhelme bietet. Es empfiehlt sich, den Schlafwagen ohne Gepäck zu betreten, will man nicht ständig über Koffer und Schuhe steigen müssen. Man übt das Ritual für die nächsten zehn Stunden: Einer muss immer draußen bleiben, während der andere Tätigkeiten wie Koffer unters Bett schieben, umkleiden oder Zähne putzen verrichtet. Wer nicht mit Motorradkollegen reist, wird zwischenmenschliches Fingerspitzengefühl zur Koordination der abendlichen Verrichtungen brauchen, die zu Hause zwischen Bad und Schlafzimmer erledigt werden.

Speisewagen

Zu wessen Lebensrhythmus nicht Bettruhe um 22.30 Uhr gehört, macht sich vergeblich auf die Suche nach einem Speisewagen oder anderen Annehmlichkeiten. Der Schlafwagen ist eben zum Schlafen da, wie Dr. Forster später die Bundesbahn-Philosophie erklären wird. Aufenthaltsraum sei der Gang oder die Plattform beim Zugbegleiter. Bei Strecken mit längerer Tagesreisezeit gibt es den „Klassiker“, also den lieb gewonnenen Schlafwagen mit Sitzen, Tischen und hochklappbaren Liegen.

Das Schinkenbrot auf der Treppe

Das bei der Zugbegleiterin bestellte Abendmahl bestehend aus Schinkenbrot und Bier (macht müde!) wird am besten so eingenommen: Man setzt sich auf die nach unten führende Treppe, die nach oben führende eignet sich als Ablage für das Brot, sofern nicht jemand das obere Abteil verlässt und versehentlich auf den Schinken steigt.

Schichtweises Belegen der Betten

Nach schichtweisem Zähneputzen schichtweises Belegen der Betten. Es schaukelt, rüttelt, rattert. Vertraute Bahnbewegungen und -geräusche. Und doch irgendwie anders. Vielleicht liegt es an der Deckenbeleuchtung, für die sich kein Schalter finden lässt. (Erst am nächsten Morgen entdecken wir die an der Außenwand klebende Gebrauchsanweisung für das Abteil, wo auch der gut getarnte Platz des Lichtschalters beschrieben wird.) Möglicherweise ist da auch noch ein anderes Geräusch, das aber noch nicht deutlich ins Bewusstsein dringt. Die aufsteigende Wärme wird noch als wohlig empfunden, auch nach dem Abstreifen der Decke. Der Schlaf stellt sich nicht ein.

Klimaanlage sorgt für Saunaatmosphäre

Das aufs Schlafen programmierte Bewusstsein beginnt zu grübeln. Wieso sind diese Geräusche und Bewegungen, im Abteil sitzend als durchaus angenehm empfunden, auf einmal peinigende Störenfriede? Kurz nach Amstetten schneidet dieses latente Nebengeräusch deutlich in den Halbschlaf. Es klingt, als würde Plastik an Plastik in hoher Drehzahl reiben. Das Bewusstsein wird wacher und stellt einen Zusammenhang mit der mittlerweile auf Saunahitze angestiegenen Temperatur her. Beides könnte die gleiche Ursache haben, nämlich die bereits auf die kälteste Stufe gestellte Klimaanlage.

Schlaflos in Linz

Der Gang auf die Toilette kurz nach Linz bringt zwar Begegnungen mit anderen Nachtwandlern im Nachtgewand, aber keine wirkliche Entspannung. Bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof Wels treten Bewusstsein und Unterbewusstsein in einen nächtlichen Dialog, um die Frage zu erörtern, wieso dieses Schaukeln nicht beruhigt, sondern das Nervenkostüm in Anspannung versetzt.

Liegen quer zur Fahrtrichtung

Eine Erklärung: Weil das Liegen quer zur Fahrtrichtung den Körper der Länge nach durchbeutelt, so, als würde man andauernd auf einer wackligen Oberfläche stehen. Jede Wiege schaukelt das Kleinkind seitlich, auch beim Dösen im normalen Abteil sitzt man in Fahrtrichtung und wird seitlich gerüttelt. Ebenso wie im Auto, im Flugzeug und auf dem Schiff. Vom Ungeborenen im Mutterleib ganz zu schweigen.

Platzsparend gelagert

Die zweite Antwort: Entspannung und Wohlbefinden können da nicht aufkommen, wo alles überdeutlich die Idee von Auftraggeber und Konstrukteur ausdrückt: möglichst viele zahlende Fahrgäste auf möglichst engem Raum zu verstauen. Dieser Versuch, Platz sparend gelagert zu werden, ist zumindest für sensiblere Gemüter körperlich spürbar, beengend für Leib und Seele. Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, warum von den 900.000 Nachtreisenden pro Jahr 500.000 die Nacht lieber im Sitzen verbringen.

Verspannt geht`s eben nicht

Da wir weiterhin umweltbewusst reisen wollen, werden wir zukünftig die Empfehlung von Dr. Forster beherzigen: „Je entspannter man an die Situation herangeht, desto besser ist es. Wenn man verspannt ist, geht es eben nicht.“ Auf die nächste Fahrt im Doppelstockschlafwagen werden wir uns mit Mental-Coach und Entspannungsübungen vorbereiten.

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