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Obst und Gemüse aus Italien - Irgendwie überleben

Im Süden Italiens werden Migranten und Flüchtlinge auf Obst- und Gemüseplantagen ausgebeutet. Ob die ­Produkte auch in österreichischen Supermärkten landen, lässt sich ­leider nicht immer feststellen.

Apulien, Süditalien: Inmitten von grünen ­Feldern breiten sich Hütten aus Plastikfolie und Pappe zu einem riesigen Slum aus. Tausende Menschen hausen hier während der Tomatenernte im August. Eine halbe Million Saisonarbeiter aus afrikanischen und osteuro­päischen Ländern sind in Süditalien illegal beschäftigt.

Sie arbeiten bei der Trauben- und Orangenernte, auf Tomaten- und Erdbeerfeldern, in Pfirsich- und Aprikosen­plantagen. Mindestens 100.000 von ihnen ­werden nach Schätzungen der italienischen Agrargewerkschaft FLAI-CGIL ausgebeutet. Für wenige Euro am Tag müssen sie zwölf Stunden und länger arbeiten.

Flüchtlinge werden ausgebeutet

Besonders betroffen sind Flüchtlinge, die auf Lampedusa ankommen und irgendwann auf den Obst- und Gemüseplantagen Süditaliens landen. "In Italien dürfen Asylwerber während ihres Verfahrens nicht im Flüchtlings­lager bleiben", weiß Gilles Reckinger, Professor für Europäische Ethnologie an der Universität Innsbruck. Er besucht regelmäßig die Gebiete rund um die Insel Lampedusa.

Prekäre Arbeits­bedingungen

"Die Flüchtlinge werden vor die Tür gesetzt und müssen schauen, dass sie irgendwie über­leben. Sie haben keine Papiere, keinen Job und kein Dach über dem Kopf." Viele bleiben auf den riesigen Obst- und Gemüseplan­tagen in Sizilien, Kalabrien und Apulien. In Kalabrien pflücken sie rund um Weihnachten Orangen und bekommen dafür einen Hunger­lohn. Laut Reckinger gibt es aber auch in norditalienischen Regionen wie dem Piemont ähnliche Zustände. "Erntearbeit ist in vielen Regionen Europas mit prekären Arbeits­bedingungen verbunden, davor ­dürfen wir nicht die Augen verschließen."


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Den Saisonkalender zum Ausdrucken finden Sie hier als PDF-Download.

Kriminelle Machenschaften

Kriminelle Machenschaften

In Süditalien machen sich die sogenannten "Caporali" – so werden die Mittelsmänner genannt, die Saisonarbeiter anheuern und zu den Bauern bringen – die ausweglose ­Situation von Migranten zunutze. Sie kassieren den Lohn bei den Landwirten und be­halten einen Teil davon, oft die Hälfte. Das kriminelle System des „Caporalato“, das in Regionen wie Apulien, Basilikata, Kalabrien und Sizilien verbreitet ist und der Mafia ­ähnelt, soll nun stärker bekämpft werden.

Initiativen gegen Ausbeutung

Yvan Sagnet ist Verantwortlicher für Einwanderung in der Fachgewerkschaft für Land­arbeiter in der CGIL Apulien, er setzt sich vor Ort für die Rechte von Erntehelfern ein. "Er war früher selbst einer der Ausgebeuteten auf den Feldern in der Region" erklärt ­Christine Pichler, Generalsekretärin der Gewerkschaft für Landwirtschaft und Lebensmittel in Bozen. "Die Fachgewerkschaft FLAI hat einige Initiativen gegen die Ausbeutung der illegalen Einwanderer im Süden Italiens in die Wege geleitet, unter anderem auch ­einen Gesetzesvorschlag gegen den ­Caporalato (Menschenhandel)."

Wo kommt das Gemüse her?

Italienisches Obst und Gemüse wird über große Fruchthandelsplattformen in Verona weiterverkauft, wo auch österreichische Händler einkaufen. Woher die Früchte kommen, lässt sich nicht immer genau feststellen. Die Landwirte wüssten oft selbst nicht, welche Händler ihre Produkte aufkaufen, erklärt Gilles Reckinger.

Wie Handelskonzerne reagieren

Wie Handelskonzerne reagieren

Viele Handelskonzerne berufen sich auf die Business Social Compliance Initiative (BSCI – siehe Stellungnahmen), die jedoch von unabhängigen Organisationen als zu wenig wirkungsvoll beanstandet wird. Die Nicht­regierungsorganisation Südwind kritisiert, dass der BSCI-Standard weder einen Exis­tenzlohn noch unabhängige Verifizierungsmaßnahmen beinhaltet.

Des Weiteren heißt es, dass die BSCI eine Industrie-Initiative ist, die gegründet wurde, um dem drohenden Imageverlust großer Marken- und Handelsunternehmen wegen menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen in ihrer Zulieferkette vorzubeugen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Tatsache, dass BSCI-Mitglieder erst nach fünfeinhalb Jahren den Nachweis erbringen müssen, dass ihre Zulieferer beanstandete Mängel beseitigen. Überdies kann man das durch die Beendigung der Zusammenarbeit mit dem Zulieferer umgehen.

Kritik an Global Good Agricultural Practice

Auch GlobalGAP (Good Agricultural Practice) wird kritisch betrachtet: "Es handelt sich bei GlobalGAP definitiv um kein Öko­label, dafür sind die Standards viel zu schwach" sagt Greenpeace-Experte Sebas­tian Theissing. "Die Daten der Prüfungen werden nicht veröffentlicht, somit fehlt es auch an Transparenz."

GlobalGAP habe, so Theissing, in erster Linie einen Mehrwert für den Handel, da damit weltweit bestimmte Mindestkriterien garantiert werden und ­eine Rückverfolgung der Produkte in der Wertschöpfungskette möglich ist. Aber Bio-Siegel hätten jedenfalls weit höhere Standards.

Fairtrade glaubwürdiges Sozialsiegel

Wem kann man also vertrauen? Nur für ­Bananen gibt es mit Fairtrade ein glaubwürdiges Sozialsiegel, dank dem man soziale Missstände in der Produktion weitgehend ausschließen kann. Für alle anderen Obstsorten und für Gemüse gibt es zwar mehr oder weniger engagierte Vorkehrungen ­gegen Ausbeutung, aber häufig wissen die Handelskonzerne trotzdem nicht einmal, woher ihre Lieferanten die Ware beziehen.

Am besten wäre es daher, nur saisonales Obst und Gemüse aus der Region bzw. aus dem Inland zu kaufen. Damit schont man zudem die Umwelt. Zwar werden auch in Österreich Erntehelfer unter teils sehr un­fairen Bedingungen eingesetzt, doch die extreme Ausbeutung wie in Italien, aber auch in Spanien oder in anderen Teilen der Welt, gibt es hier wohl nicht.

Zusammenfassung

  • Erntearbeit ist Ausbeutung. Erntearbeiter werden fast nirgends fair behandelt. Besonders schlimm ist die ­Situation in Süditalien, wo Flüchtlinge von der Mafia ausgebeutet werden.
  • Gezielt kaufen. Greifen Sie, wann immer möglich, zu regionalen, saisonalen und/oder biologisch zertifizierten Produkten. Diese sind jedenfalls aus ökologischer Sicht zu empfehlen, aber auch punkto Arbeitsbedingungen im Schnitt besser zu beurteilen als Obst und ­Gemüse aus Südeuropa.
  • Nachfragen. Unternehmen reagieren auf Kundenwünsche und -beschwerden. Fragen Sie daher bei Ihrem Supermarkt nach, woher die Ware kommt. Stellen Sie Fragen auf den Facebook-Seiten der Unternehmen oder schreiben Sie Mails an Verantwortliche.

Stellungnahmen

Spar: "In den Verträgen mit den Lieferanten sind einzuhaltende soziale Kriterien festgelegt, wie zum Beispiel das Verbot von Kinderarbeit. Gekauft wird nur Ware, die den Qualitätsrichtlinien von GlobalGAP entspricht. Bei GlobalGAP stehen neben Qualitätskriterien für Anbaumethoden auch soziale Kriterien im Mittelpunkt."

Hofer: "Hofer hat gemeinsam mit der ALDI SÜD Gruppe „Sozialstandards in der Produktion” als integralen Bestandteil der „Corporate Responsibility Policy“ definiert. Seit mehreren Jahren sind sie laut Hofer zudem Mitglied in der Business Social Compliance Initiative (FTA/BSCI). Neben den Sozialstandards dient auch der „Code of Conduct“ der BSCI, welcher Kernkriterien wie Verbot von Kinderarbeit, Verbot von Zwangsarbeit oder Höhe der Löhne definiert, als Leitlinie für die Lieferanten."

REWE: "In den Leitlinien für nachhaltiges Wirtschaften bekennt REWE sich zur Einhaltung von Sozialstandards. Obwohl REWE einräumt, die Bedingungen in den Herkunfts­ländern sowie die globalen Warenströme der Lieferkette nur bedingt beeinflussen zu können, ist es dennoch das Ziel, verbindliche Arbeits- und Sozialstandards entlang der gesamten Lieferkette zu implementieren. Alle italienischen Lieferanten befolgen Standards wie SA8000, BSCI oder GRASP. Die Lieferanten veranlassen Betriebskontrollen und handeln nur bei unterzeichneten Produzenten-Ver­trägen als Standard-Sicherstellung."

Lidl: Knapp fällt die Antwort von Lidl Österreich aus: "Wir bemühen uns, soweit es geht, ausschließlich heimisches Obst und Gemüse anzubieten und haben nur selten Tomaten aus Italien im Sortiment", lässt uns ein Unternehmenssprecher wissen.

Buchtipp: "Nachhaltig leben mit Kindern"

Von der Windel über richtige Ernährung bis zum ersten Handy: Kindern einen ökologischen Lebensstil und einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und Umwelt nahezubringen ist Thema dieses Buches. Erfahrungsberichte und Anekdoten von Eltern ergänzen das informative und unterhaltsame Leseerlebnis.

www.konsument.at/nachhaltig-kinder

Aus dem Inhalt

  • Schadstofffreies Kinderzimmer
  • Alternativen zum Lebensmitteleinkauf
  • Ökologische Schulartikel, gesunde Jause
  • Unterwegs mit dem Nachwuchs
  • Kinder und Werbung
  • Ausleihen statt kaufen; tauschen und teilen
     

164 Seiten, 19,90 € + Versand

 

 

KONSUMENT-Buch: Nachhaltig leben mit Kindern (Bild:VKI)

 

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