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Scooter: Produkthaftung - VKI klagt

Bei einem Scooter der Marke MICRO bricht das Vorderrad, die Fahrerin zieht sich beim Sturz schwere Verletzungen zu. Wir gehen von einem Produkt- ­beziehungsweise Konstruktions­fehler aus und klagen den Importeur des Produkts.

Der große Boom scheint etwas abgeflaut zu sein, vor allem in den Städten gehört der ­Scooter jedoch nach wie vor ­zum Erscheinungsbild. Immerhin lässt sich mit dem Tretroller auf dem Weg zur ­Arbeit, beim Ab­stecher in die Mittagspause oder auch beim Ein­kaufen einiges an Zeit ­sparen. Das dachte sich wohl auch Patrizia F. (Name der Redaktion bekannt), als sie sich im Frühjahr 2013 einen der fahrbaren Untersätze zulegte. Bei der ­Anschaffung entschied sie sich aus Sicher­heitsgründen bewusst für ein höherpreisiges Gerät des Schweizer Herstellers ­MICRO um rund 180 Euro.

Produktqualität und Sicherheit

Auf ihrer Homepage preist die Firma Qualität und Sicherheit ihrer Produkte an: „Innovation und einwandfreie Qualität sind für uns unverzichtbare Ziele. Jedes unserer Produkte wird vor der Markteinführung unzähligen Tests ­unterzogen.“ Viele Fertigungsschritte, so ist zu lesen, würden von Hand erledigt, um eine sorgfältigere Ausführung zu gewährleisten. „Sollte es trotz aller Qualitätskontrollen zu einem Materialfehler kommen, sind wir in der Lage, die betroffenen Scooter schnell und ­einfach zu finden.“

Vorderrad bricht, Fahrerin verletzt sich schwer

Patrizia F. fühlte sich auf der sicheren Seite, als sie sich am 22. September 2015 auf den Weg zu ihrem Arbeitsplatz machte. Doch sie kam nicht weit. Noch in der Nähe ihrer Wohnung im 14. Wiener Gemeindebezirk brach das ­Vorderrad des Scooters ab. F. stürzte, schlug mit dem Kopf auf dem Asphalt auf und verlor das Bewusstsein. Ein vorbeikommender Passant leistete erste Hilfe und verständigte die Rettung. Im Spital wurden unter anderem eine Gehirnerschütterung, ein Bruch des Nasenbeins, diverse Gesichtsverletzungen, Brüche des 3. und 4. Mittelhandknochens der linken Hand, Zahn- und Kieferverletzungen sowie Prellungen an Arm und Brustkorb diagnos­tiziert. Zwei Tage musste die Patientin zur ­Behandlung im Spital verbringen. Die Genesung zog sich in die Länge, dreieinhalb ­Monate war Patrizia F. arbeitsunfähig.

VKI-Musterprozess

Musterprozess

Das Unfallopfer wandte sich mit der Bitte um Unterstützung an den VKI. Für Thomas Hirmke, Leiter der Abteilung Klagen, ist der Fall eindeutig: „Bricht bei einem Tretroller während der Fahrt jener Teil, an dem die ­Räder montiert sind, so bietet dieses Produkt nicht die erwartete Sicherheit in ­Bezug auf den Gebrauch des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann.“ Hirmke indiziert eine Fehlerhaftigkeit im Sinn des Produkt­haftungsgesetzes: „In diesem Fall haftet der Unternehmer, der den Roller her­gestellt oder in Verkehr gebracht hat, sowie der Importeur, der ihn zum Vertrieb aus der Schweiz in die EU eingeführt und in Verkehr gebracht hat“.

Schmerzensgeld für das Unfallopfer gefodert

Ein Mitverschulden von Patrizia F. kann der Jurist nicht ­erkennen, zumal diese den Roller regelmäßig gewartet habe. „Wir führen im vorliegendem Fall deshalb im ­Auftrag des Konsumentenschutz­ministeriums einen Musterprozess ­gegen den österrei­chischen Importeur des MICRO-Scooters. Wir verlangen die Zahlung eines ­angemessenen Schmerzensgeldes für das ­Unfallopfer, außerdem sind der Produktfehler und die Haftung im Interesse aller Benutzer derartiger Scooter gerichtlich zu klären“, sagt Thomas Hirmke. Da mögliche Dauerfolgen und Spätkompli­kationen nicht absehbar sind, müsse die ­beklagte Partei zudem die Haftung für sämt­liche zukünftigen Schäden übernehmen, die sich aus dem Unfall ergeben.

Ähnliche Defekte bei anderen MICRO-Scootern

Der Schweizer Hersteller, die Micro Mobility Systems AG, weist jegliche Verantwortung zurück. Weltweit würden pro Jahr mehr als eine ­Million Scooter produziert, abgesehen vom oben geschilderten Beispiel seien keine Fälle bekannt, bei denen es aufgrund einer Fehlerhaftigkeit des Scooters zu einem Unfall gekommen sei. Dem VKI liegen allerdings ­Berichte von wei­teren Unfällen mit MICRO-Scootern vor, bei denen ähnliche Defekte wie im Fall F. eine Rolle spielten. Georg L. etwa fuhr mit seinem zwei Jahre alten Roller die Neubaugasse im 6. Wiener Gemeindebezirk entlang, als plötzlich der Lenker nach vorne kippte. „Im ersten Moment wusste ich gar nicht, was los war, dann habe ich gesehen, dass das Rohr gebrochen war“, so L. Einige Tage zuvor habe er noch kontrolliert, ob alle Schrauben fest ­saßen. Dass es zu keiner Verletzung kam, habe er ­lediglich dem Umstand zu verdanken, dass er langsam unterwegs gewesen sei.

Absurde Sicherheitshinweise

Im Fall von Patrizia F. versucht der Schweizer Hersteller, dem Opfer die Verantwortung für die erlittenen Verletzungen zuzuschieben, und verweist darauf, dass sich die Lenkerin nicht an die Sicherheitshinweise in der Scooter-Gebrauchsanweisung gehalten habe. Darin heißt es unter anderem: „Tragen Sie immer einen Helm, Handgelenk-, Ellbogen- und ­Knieschutz. Fahren Sie nicht schneller als 10 Stundenkilometer. Benutzen Sie den MICRO Scooter nicht auf rauem oder unebenem ­Belag.“ Für Thomas Hirmke sind diese Hin­weise absurd: „Derartige Schutzmaßnahmen sind vollkommen realitätsfremd und widersprechen dem üblichen Gebrauch. Man kauft sich ja keinen Roller, um damit im Wohn­zimmer zu fahren.“ Dass auch der Hersteller seine eigenen Sicherheitshinweise nicht ganz ernst nimmt, zeigt ein Blick auf die Scooter-Homepage. Fast alle der darauf abgebildeten Fahrerinnen und Fahrer sind ohne Helm und Schützer unterwegs.

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