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Mann schreibt seine Steuererklärung
Bild: chayanuphol/Shutterstock

Kalte Progression - Eisiger Verlust

, aktualisiert am

Bei den jährlichen Kollektivvertragserhöhungen langt auch der Finanzminister kräftig zu – ganz automatisch. Genannt wird das kalte Progression. Sie frisst einen Teil der Lohnerhöhungen wieder auf.

Keine neue Regierung ohne Steuerreform: Auch beim jetzigen Team stehen nun die im Wahlkampf versprochenen Entlastungen zur Umsetzung an. Alles soll einfacher werden, jeder soll davon profitieren, und Fixpunkt ist natürlich auch bei dieser Reform das Abfangen der kalten Progression.

Durchschnittssteuersatz steigt

Darunter versteht man die verdeckte Steuermehrbelastung, die entsteht, wenn das Einkommen zum Ausgleich der Inflation zwar ansteigt, die Steuertarifstufen aber unverändert bleiben. Betroffen davon ist praktisch jeder Erwerbstätige; und zwar nicht nur dann, wenn er aufgrund einer Lohn- oder Gehaltserhöhung aus dem Grund­freibetrag bzw. in die nächsthöhere Steuerstufe rutscht (siehe Kapitel "Steuertarif­stufen seit 2016").

Durch eine inflationsausgleichende nominelle Gehaltserhöhung steigt der Durchschnittssteuersatz, weil ein immer höherer Anteil des Gehalts in der höchsten erreichten Steuerstufe versteuert wird (siehe Grafik "Steigender Durchschnittssteuersatz").

Ausgleichsmechanismen in anderen Ländern

Dieses Problem trifft übrigens nicht nur die österreichischen Steuerzahler. Es zieht sich quer durch alle OECD-Länder. Allerdings haben viele in ihren Einkommensteuerregelungen Mechanismen vorgesehen, um die kalte Progression weitgehend automatisch auszugleichen.

Dazu zählt etwa das Schweizer Modell, bei dem die Steuerstufen, Absetzbeträge und Ähnliches anhand eines Inflationsindikators jährlich angepasst werden; oder auch das vergleichbare schwedische Modell, bei dem darüber hinaus ein Aufschlag für Gehaltserhöhungen über die Inflation hinaus hinzugerechnet wird.

Mehrbelastung: viele hundert Euro

Infolge einer parlamentarischen Anfrage wurden die budgetären Auswirkungen der kalten Progression in Österreich näher untersucht und mit diesen beiden Modellen verglichen. Hätte Österreich bereits 2016 eines der beiden Modelle übernommen, würden sich die heimischen Steuerzahler zwischen 2017 und 2019 rund zwei bis vier Milliarden Euro an Steuern sparen.

Für einen Single-Haushalt mit einem monatlichen Brutto­einkommen von 1.932 Euro (was dem Medianeinkommen unselbstständig Beschäftigter entspricht) wäre das eine steuerliche Ersparnis von 378 Euro nach dem Schweizer Modell und 731 Euro nach dem schwedischen.

Ungleiche Verteilung, Kompromisse

Oberste Einkommen stärker entlastet

Also nichts wie her mit der automatischen Inflationsabdeckung! Oder doch nicht? Schafft man damit die kalte Progression für alle Einkommensschichten de facto ab, profitieren insbesondere Bestverdiener: Nach Berechnungen anhand des Schweizer bzw. des schwedischen Modells würden mehr als 20 Prozent der steuerlichen Ersparnis an das oberste Einkommensdezil (also die einkommensstärksten 10 Prozent) und nicht einmal 2 Prozent an das unterste gehen. Ein Umstand, der wegen der höheren Steuerzahlungen der Besserverdiener nicht weiter verwundert.

Problem Preisindex und automatische Anpassung

Das Problem ist aber ein anderes: Ein über den Verbraucherpreisindex (VPI) vorgenommener Ausgleich schert alle über einen Kamm. Wie in unseren Artikeln zur Inflation (Wirtschaftsbegriffe: Inflation - Unterschiedliche Auswirkungen und Wirtschaftsbegriffe: Gefühlte Inflation - Das Gefühl täuscht nicht) ausführlich dargestellt, wirkt sich diese sehr unterschiedlich auf die verschiedenen Einkommensschichten aus. Bei Geringverdienern fällt mehr als die Hälfte der Aus­gaben für Miete, Nahrungsmittel und Energie an; die tendenziell stärkeren Preissteigerungen in diesen Bereichen treffen sie daher ungleich mehr als Besserverdienende, welche einen geringeren Anteil ihres Einkommens dafür aufwenden müssen.

Ein automatischer Anpassungsmechanismus aller Steuertarifstufen würde ganz bestimmte Verteilungseffekte mit sich bringen: Während die Besserverdienenden durch einen einheitlichen Inflationsindikator im Durchschnitt eher überentschädigt würden, fiele der Ausgleich der kalten Progression bei den Geringverdienern zu niedrig aus.

Anpassung nur für erste drei Tarifstufen?

Die Vorgängerregierung diskutierte die Variante, nur die ersten drei Tarifstufen anzupassen. Die restliche Abgeltung wäre anhand eines vom Finanzministerium erstellten Progressionsberichts verteilt worden, wobei das Erreichen eines fünfprozentigen Schwellenwerts der Inflation vorausgesetzt wurde. Bis dahin wäre die kalte Progression weiterhin für alle wirksam.

Abschaffung erst 2022

Vom derzeitigen Finanzminister wurde eine Abschaffung der kalten Progression erst für das Jahr 2022 in Aussicht gestellt; detaillierte Pläne zum automatischen Inflationsausgleich sind aber derzeit noch nicht bekannt. Bis dahin müssen Arbeitnehmer also weiterhin diese schleichende Steuerer­höhung zähneknirschend hinnehmen.

Überblick

Tarifstufen: Der Einkommensteuertarif ist in Österreich progressiv gestaltet. Das heißt, dass das Einkommen in mehrere Teile zerlegt und mit ansteigenden Sätzen besteuert wird.

Steuererhöhung: Von der kalten Progression ist jeder Einkommensteuerpflichtige betroffen. Gemeint ist damit die von Jahr zu Jahr steigende Steuerlast, die sich aufgrund der fixen Steuerstufen und des Ausgleichs der Inflation ergibt.

Steuerzuckerl: In Wahlzeiten wird gern eine Steuerreform inklusive Ausgleich der kalten Progression in Aussicht gestellt. In vielen OECD-Ländern ist dieser Ausgleich ohnedies bereits fixer Bestandteil des Steuersystems.

Verteilungseffekt: Eine automatisierte Anpassung anhand des Verbraucher­­preis­index hat auch ihre Schattenseiten: Durch die tendenziell abnehmenden Inflationsauswirkungen bei steigenden Einkommen werden Niedrigverdiener zu gering, Gutverdiener hingegen im Übermaß entschädigt.

Steuertarifstufen seit 2016

Für Jahreseinkommen seit 2016 gelten folgende Steuersätze:

  • bis 11.000 €.............................0 %
  • von 11.000 bis 18.000 €......... 25 %
  • von 18.000 bis 31.000 €......... 35 %
  • von 31.000 bis 60.000 €......... 42 %
  • von 60.000 bis 90.000 €......... 48 %
  • von 90.000 bis 1.000.000 €.... 50 %
  • ab 1.000.000 €.......................55 %

Beispiel: Bei einem Einkommen von 35.000 Euro (= Bruttobezug minus Sozialversicherungsbeiträge) sind 11.000 Euro steuerfrei, die weiteren 7.000 Euro werden mit 25 % besteuert, die weiteren 13.000 Euro mit 35 % und die restlichen 4.000 Euro von den insgesamt 35.000 Euro mit 42 %.

Bruttojahresgehälter: Aufgrund inflationsdeckender Gehaltserhöhungen steigt der Anteil des Einkommens, welcher in der höchsten Tarifstufe versteuert wird, und dadurch auch der Durchschnittssteuersatz. (Infografik: Caroline Müllner)
Bruttojahresgehälter: Aufgrund inflationsdeckender Gehaltserhöhungen steigt der Anteil des Einkommens, welcher in der höchsten Tarifstufe versteuert wird, und dadurch auch der Durchschnittssteuersatz. (Infografik: Caroline Müllner)

Bruttojahresgehälter: Aufgrund inflationsdeckender Gehaltserhöhungen steigt der Anteil des Einkommens, welcher in der höchsten Tarifstufe versteuert wird, und dadurch auch der Durchschnittssteuersatz. (Infografik: Caroline Müllner)

Steuer vs. Inflation: Ausgehend von der Grafik "Steigender Durchschnittssteuersatz" zeigt sich hier, wie sich die Steuerlast prozentuell stärker entwickelt als die Inflation. (Infografik: Caroline Müllner)
Steuer vs. Inflation: Ausgehend von der Grafik "Steigender Durchschnittssteuersatz" zeigt sich hier, wie sich die Steuerlast prozentuell stärker entwickelt als die Inflation. (Infografik: Caroline Müllner)

Steuer vs. Inflation: Ausgehend von der Grafik "Steigender Durchschnittssteuersatz" zeigt sich hier, wie sich die Steuerlast prozentuell stärker entwickelt als die Inflation. (Infografik: Caroline Müllner)

Entwicklung der Steuerlast

In diesem Beispiel (zur Verdeutlichung ohne Pauschalen, Freibeträge, Sonderzahlungen oder Absetzbeträge) wurde ein Bruttoeinkommen von 25.000 Euro angenommen, das sich jährlich um 2 % inflationsausgleichend erhöht. Dadurch steigt der Durchschnittssteuersatz um 0,71 Prozentpunkte.

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