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Allergendeklaration - Das Spuren-Problem

Mit der derzeit gültigen Kennzeichnungsverordnung für Allergene in Lebensmitteln haben Allergiker ihre Not: Abgesehen von der immer stärker eingeschränkten Produktauswahl besteht nach wie vor das Risiko, beim Essen einen schweren allergischen Schock zu erleiden.

Stellen Sie sich vor, Sie sind auf Erdnüsse allergisch und haben Lust auf eine schokoladeartige Süßigkeit. Kein Problem, denken Sie, bei dem reichhaltigen Angebot in Supermärkten müsste sich doch spielend etwas Leckeres finden lassen.

Falsch gedacht! Denn kämpfen Sie sich lesend durch diverse Zutatenlisten und erfassen das Kleingedruckte für Aschanti-frei, springt Ihnen allzu oft am Ende der Hinweis ins Auge: „Kann Spuren von Erdnüssen enthalten.“

Kann-Sätze wenig praxistauglich

Was derartige Kann-Sätze in der Praxis taugen, hat unser Test "Allergene in Lebensmitteln 10/2005" gezeigt: äußerst wenig. Damals haben wir 36 Proben von Milchschokoladen, Keksen, Frühstückscerealien und Joghurts aus österreichischen Verkaufsregalen gezogen und untersucht.

Auf 17 Produkten war eine Kann-Kennzeichnung für Hasel- bzw. Erdnüsse zu finden, aber nur vier enthielten tatsächlich eines dieser Allergene. Demgegenüber haben wir in sieben Erzeugnissen Allergene nachgewiesen, die überhaupt nicht deklariert waren, weder in der Zutatenliste noch als Kann-Satz.

Unsicherheit durch gültiges Recht

Schuld an der niedrigen Trefferquote trägt die momentane Gesetzeslage. Vor fünf Jahren ist eine entsprechende EU-Verordnung einer wichtigen Forderung von Konsumentenschützern nachgekommen: Sie verpflichtet die Hersteller von Fertiglebensmitteln, die Zutaten auf den Verpackungen anzugeben, und zwar auch dann, wenn nur kleine Mengen in der Rezeptur verwendet wurden.

Eine besondere Deklarationspflicht besteht dabei für die 14 Hauptallergene, die in Europa etwa 90 Prozent der Nahrungsmittelallergien auslösen: glutenhaltiges Getreide (z.B. Weizen, Dinkel Roggen), Krebstiere, Eier, Fisch, Erdnüsse, Soja, Milch, Schalenfrüchte (z.B. Mandel, Haselnuss, Walnuss, Pistazie), Sellerie, Senf, Sesamsamen, Schwefeldioxid und Sulfite, Süßlupinen sowie Mollusken (z.B. Schnecken).

Kann-Hinweise statt Vorsorge

Allergene in Spuren

So weit, so gut. Nicht geregelt ist allerdings das Problem der Allergenspuren, die unbeabsichtigt durch Transport- und Produktionsbedingungen in ein Lebensmittel gelangen. Wird etwa in einem Betrieb eine Vollmilchschokolade nach einer Nussschokolade hergestellt, können Nusspartikel in die Vollmilchschokolade geraten.

Eine Deklarationspflicht für diese sogenannte Kreuzkontamination sieht die Kennzeichnungsverordnung nicht vor – es bleibt dem Produzenten überlassen, ob er die Konsumenten durch eine entsprechende Verpackungsaufschrift darüber informiert.

Kann-Hinweise statt Vorsorge

Mitunter treffen Betriebe aus Kostengründen keine Maßnahmen, um die Verschleppung von Allergenen zu verhindern. Weil jedoch jeder Hersteller für die Sicherheit seiner Erzeugnisse haftet, kennzeichnen viele Firmen eine mögliche Verunreinigung vorsorglich.

So finden sich auf immer mehr Produkten Sätze wie „Kann Spuren von Erdnüssen enthalten“, „Im selben Betrieb werden auch Erdnüsse verarbeitet“ oder ähnliche Formeln, denn auch über den Wortlaut entscheiden die Unternehmen selbst.

Für Verbraucher wenig dienlich

Aktuelles Beispiel: Das gesamte Eissortiment des Diskonters Hofer – einschließlich Fruchteis – ist mit den unterschiedlichsten Kann-Hinweisen auf Erdnuss- bzw. Nussspuren versehen.

Dass damit den Verbrauchern wenig gedient ist, liegt auf der Hand: Einerseits wird die Auswahl an geeigneten Nahrungsmitteln für Allergiker immer stärker eingeschränkt, andererseits riskieren Betroffene bei jedem Bissen Schokolade, Keks oder Eis ihre Gesundheit.

Die teuflische Nuss

Die teuflische Nuss

Das Aschanti-Beispiel ist natürlich nicht zufällig gewählt. Gerade nach dem Verzehr von erdnusshaltigen Speisen können besonders starke allergische Reaktionen auftreten. Es genügen bereits wenige Mikrogramm des hitzestabilen Allergens, um Symptome wie Schleimhautschwellungen, Atemnot oder Kreislaufstörungen bis hin zum anaphylaktischen Schock hervorzurufen.

In den USA schätzt man, dass zirka 1,5 Millionen Menschen an einer Erdnussallergie leiden und rund 100 Menschen jährlich daran sterben.

Sensibilisierungen nehmen zu

Für Europa liegen keine verlässlichen Zahlen vor, Todesfälle sind aber auch hier bekannt. Fakt ist, dass die Sensibilisierungen auf Erdnussallergene in allen Industriestaaten ansteigen, weil die vergleichsweise billige Aschanti teurere Nüsse in Lebensmittelrezepturen zunehmend ersetzt.

Eine andere Ursache ist die molekulare Ähnlichkeit der Hülsenfrucht mit Gräserpollen. So entwickeln viele Heuschnupfenpatienten nach einiger Zeit nicht nur Asthma, sondern auch Beschwerden im Verdauungstrakt durch Nahrungsmittel, die mit der pollenerzeugenden Pflanzenart verwandt sind (Orales Allergiesyndrom).

Lose Ware problematisch

Ein weiteres Problem für Lebensmittelallergiker betrifft lose Ware. Für sie besteht ebenfalls keine Deklarationspflicht. Zum Beispiel werden Faschingskrapfen einfach im Sackerl über die Feinkosttheke gereicht, ohne dass der Kunde auch nur ahnt, dass das Gebäck eventuell in schlecht raffiniertem Erdnussfett mit Resten von allergenen Proteinen frittiert wurde.

Und das Essen in Restaurant oder Kantine ist für Nahrungsmittelallergiker sowieso ein Hasardspiel.

Brauchbares Verfahren in Down Under

Brauchbares Verfahren in Down Under

Bezüglich Allergenspuren ist man in Australien schon weiter. Dort wurde das sogenannte VITAL-Konzept entwickelt, das Nahrungsmittelallergikern mehr Sicherheit bei gleichzeitig weniger Einschränkung bietet. Es wurden Grenzwerte für häufige Allergene ermittelt und eine verbindliche Kennzeichnung daran geknüpft.

Unterhalb des niedrigsten Grenzwertes bleibt ein Allergen auf der Lebensmittelverpackung kennzeichnungsfrei, da angenommen wird, dass seine Menge für eine Reaktion zu gering ist. Wird dieses Limit überschritten, muss die Verpackung mit einem einheitlichen Warnhinweis versehen werden. Überschreitet die Menge eines Allergens den obersten Grenzwert, ist es als Zutat anzugeben.

Definitionsproblem

Da Allergikern auf diese Weise die Auswahl an geeigneten Lebensmitteln erheblich erleichtert wird, wäre ein solches System auch für Europa wünschenswert. Momentan aber stößt die Wissenschaft noch auf Schwierigkeiten bei der Definition von Schwellenwerten: Die allergieauslösende Dosis ist individuell verschieden und wird zudem von der körperlichen und seelischen Verfassung sowie von vorliegenden Infekten, Medikamenten sowie Alkohol und Nikotin beeinflusst.

Außerdem gibt es Mankos bei Analyseverfahren für den Bereich von 0,01 bis 0,001 Prozent Allergen im fertigen Lebensmittel. Irgendwo dazwischen liegen nach derzeitigem Kenntnisstand die Schwellenwerte für die 14 Hauptallergene. Im Gegensatz zu Australien bietet die Schweizer Regelung, die generell – also unabhängig von der Allergensorte – eine Deklaration ab einem Gehalt von 0,1 Prozent vorsieht, zu wenig Sicherheit.

Schlupflöcher baldigst schließen

Alles in allem ist im Interesse der wachsenden Anzahl von Menschen mit allergischen Erkrankungen zu hoffen, dass die europäische Gesetzgebung die Schlupflöcher in der Lebensmittelkennzeichnung baldigst schließt. Bis dahin können wir betroffenen Allergikern nur raten, immer und überall ihr Notfallset parat zu haben.

Auf Erdnuss-Spurensuche

Im April 2010 nahmen wir einige schokoladehaltige Produkte aus dem Süßwarenregal hinsichtlich Erdnussspuren unter die Lupe. Außerdem baten wir die Hersteller um eine Stellungnahme zur Kann-Kennzeichnung von Allergenen. Hier die Ergebnisse:

Storck

Die Marken „Toffifee“ und „Merci“ sind mit der Aufschrift versehen: „Kann Spuren von Erdnüssen enthalten.“ Dazu schreibt eine Unternehmenssprecherin, dass der Hinweis keine vorsorglich formulierte rechtliche Absicherung, sondern eine gezielte Information für betroffene Konsumenten sei und ernst genommen werden sollte. Dasselbe gilt auch für jene Produkte aus der bei Hofer vertriebenen Linie „Moser Roth“, die von einem Unternehmen der Storck-Gruppe hergestellt werden.

Nestlé

Die Produkte „Kitkat“, „After Eight“, „Smarties“ und „Toblerone“ trugen noch vor einigen Monaten eine Kann-Kennzeichnung bezüglich Erdnussspuren. Derzeit finden sich auf den Verpackungen dazu keine Angaben mehr. Auf die Frage nach dem Grund fürs Weglassen meint eine Unternehmenssprecherin kryptisch: „Abhängig von der genauen Rezeptur und dem Produktionsort ergeben sich andere Allergenspuren.“ Weitere Nachfragen unsererseits, ob sich die Produktionsbedingungen geändert haben oder die Hinweise aus verkaufstechnischen Gründen entfallen sind, blieben unbeantwortet.

Ferrero

Auf den Verpackungen von „F. Rocher“, „F. Küsschen“, „Giotto“, „Raffaello“ und „Mon Chéri“ finden sich keine Angaben zu Erdnussspuren. Auf unsere Anfrage bei Ferrero Österreich erhielten wir keine Antwort. Jedoch liegt uns ein Infoblatt von Ferrero Deutschland vor, dem zu entnehmen ist, dass die Rezepturen aller genannten Produkte erdnussfrei sind. Zur unbeabsichtigten Kontamination schweigt das Infoblatt. Eine Unternehmenssprecherin teilte mit: „Eine produktionsbedingte Vermischung ist für fast alle unsere Produkte nicht zu erwarten, da auf den jeweiligen Produktionslinien normalerweise nur diese Produkte hergestellt werden.“

Kraft

Auf „Milka“-Produkten findet sich der Hinweis „Kann Spuren von anderen Nüssen enthalten.“ „Suchard“-Schokoladen sind versehen mit „Kann Spuren von Nüssen enthalten“. Auf „Mirabell Mozartkugel“-Verpackungen steht der Satz: „Kann Spuren von Erdnüssen enthalten.“ Dazu ein Unternehmenssprecher sinngemäß: Um den wenigen Allergikern zu helfen, schreiben wir den Warnhinweis auf unsere Ware. Das heißt noch längst nicht, dass er im Einzelfall zutrifft.

Lindt

Einschließlich der Partnerbetriebe Hofbauer und Küfferle packt Lindt das Erdnussproblem an der Wurzel. In der gesamten europäischen Produktion werden keine Erdnüsse verarbeitet. Laut einer Unternehmenssprecherin ist es den Mitarbeitern untersagt, erdnusshaltige Snacks an den Arbeitsplatz mitzubringen. Auch alle Vorlieferanten würden sorgfältig ausgewählt und einmal jährlich kontrolliert. Dass sich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nicht doch einmal Erdnussspuren in Lindt-Schokolade verirren, könne man freilich nicht garantieren.

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128 Seiten, 14,90 Euro (+Versandspesen)

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