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Aktionärsversammlungen - Tag der Abrechnung

Einmal im Jahr müssen sie den Aktionären Rede und Antwort stehen: die Vorstände und Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften.

Im Frühjahr haben Aktionäre österreichischer Großunternehmen Streß. Bei Bank Austria, Mayr-Melnhof, Austria Tabak und Konsorten ist zwischen April und Juni die Zeit der Aktionärs-Hauptversammlungen. Teilnehmen kann jeder, der eine Aktie des jeweiligen Unternehmens besitzt. Wir haben uns bei zwei Hauptversammlungen im Wiener Austria Center unter die Aktionäre gemischt.

Gelöste Stimmung bei der AUA

Das Publikum bei der Hauptversammlung der Austrian Airlines ist homogen: Neben zahlreichen Herren im einheitlichen Blau- und Grau-Look tummeln sich vor allem ältere Herrschaften von 50 Jahren aufwärts. Dazwischen stechen ein paar jüngere Menschen in Jeans und mit City-Bag am Rücken hervor – Gäste, die im Zuge ihres Wirtschaftsstudiums ein wenig Aktionärsluft schnuppern wollen. Sie erhalten am Eingang ein Schild mit der Aufschrift "Gast", während die Aktionäre jeweils mit einer Nummernkarte – die sie zur Abstimmung berechtigt – ausgestattet werden.

Aufsichtsratsvorsitzender Rudolf Streicher und sein Stellvertreter sowie die beiden Unternehmensvorstände sitzen entspannt auf dem Podium. Sie haben allen Grund dazu, denn die AUA mitsamt ihren Tochtergesellschaften hat die besten Ergebnisse seit Bestehen eingeflogen. Sieben Prozent Dividende sollen ausgeschüttet werden, um zwei Prozent mehr als im vergangenen Geschäftsjahr! Da sollte auch die Hauptversammlung reibungslos ablaufen.

Die Vorstellung beginnt mit ein wenig Kino: Die "friendly airline" präsentiert sich in einem Video von ihrer freundlichen Seite. Der Vorstand berichtet über das abgelaufene Geschäftsjahr, sein Kollege läßt die Aktionäre einen Blick in die Zukunft werfen, und der Aufsichtsrat gibt den launigen Moderator.

Zeit für die "Shareholder", ans Wort zu kommen. Fragesteller scheinen hier allerdings eher als Störfaktoren betrachtet zu werden, die den reibungslosen Programmablauf unterbrechen. Dementsprechend werden sie höflich, aber mit dem nötigen Quentchen Ironie und Zynismus abgefertigt. Oder mit routinierten Antworten aus dem Standardrepertoire beglückt. So etwa ein junger Mann, der wissen will, warum die Dividende ausgeschüttet (und nicht reinvestiert, Anm. d. Red.) wird, wo sie doch mit 25 Prozent KESt versteuert werden müsse. Antwort vom Podium: "Wir fanden es richtig, das verbesserte Ergebnis durch eine verbesserte Dividende auszudrücken." Punkt. Noch Fragen?

Es geht zügig weiter zur Abstimmung: Ein Vertreter des Hauptaktionärs ÖIAG stellt die Anträge, über die die Aktionäre nun zu befinden haben. Wer dafür stimmt, hebt die Hand. Wer dagegen stimmt oder sich der Stimme enthält, muß sich "outen" und seine Nummernkarte hochheben. Die Nummern werden dann jeweils in die entsprechenden Stimmenverhältnisse umgerechnet. Die Abstimmungen verlaufen tatsächlich unproblematisch, die Zahl der Nein-Stimmen und Stimmenthaltungen ist gering. Wer den Saal verläßt, muß seine Nummernkarte abgeben, damit der Überblick über die "anwesenden Stimmen" gewahrt wird.

Zügig zum Höhepunkt: dem Buffet

Nach zirka eineinhalb Stunden gibt der Aufsichtsrat den neuen Stand der anwesenden Aktionäre bekannt: Von den ursprünglich 190 Aktionären und Aktionärsvertretern sind noch 184 Aktionäre anwesend. "Das sind um etwa 70.000 bis 80.000 Schilling Nominale weniger", räsoniert Streicher halblaut, "immer noch reichlich genug, um beschlußfähig zu bleiben." Nun geht es nämlich um die Satzung, die in einigen Punkten geändert wird. So wie schon die Anträge davor, wird auch hier keiner gekippt – die Nein-Stimmen und Stimmenthaltungen sind vernachlässigbar. Nach zwei Stunden und 15 Minuten – und einem Abgang von weiteren 60 Aktionären – nähert sich die Veranstaltung ihrem Ende. Und der Aufsichtsrat weiß, was Aktionäre wünschen: "Erfreuen Sie sich nun bitte am Buffet über die guten Geschäftsergebnisse!"

Obwohl sich wohl niemand nur des Buffets wegen eine Aktie kaufen wird, lassen sich die Unternehmen hier nicht gern lumpen. In der Fachzeitschrift "Börsen-Kurier" gab es sogar eine Zeitlang eine Bewertung des Buffets bei Hauptversammlungen. Aber auch andere kleine Geschenke erhalten die Freundschaft: Neben reichhaltigen schriftlichen Unterlagen werden die AUA-Aktionäre beim Hinausgehen noch mit einer CD beschenkt.

Trotz Geschenken viele Fragen

Bei der Hauptversammlung des OMV-Konzerns kommen die Geschenke gleich zu Beginn. Vielleicht wollen Vorstand und Aufsichtsrat die Aktionäre günstig stimmen, denn das vergangene Geschäftsjahr und vor allem der jüngste Quartalsbericht aus dem Jahr 1999 sind bei weitem nicht so erfreulich ausgefallen wie geplant.

Am Anmelde- und Informationsschalter herrscht Aufregung: Eine ältere Frau beklagt sich, daß keiner der Kalender mehr da ist, "die so schwer sind, daß sie die Leute gleich zum Auto getragen haben!" Zum Glück findet sich in einem der hinteren Regale noch ein Exemplar. Die wie in Tankstellenshops aufgebauten Regale sind leergefegt. Nach den prallen Plastiksackerln zu schließen, gab es hier Erdnußflocken, Getränkedosen und ähnliches zur freien Entnahme für Spezialisten, die wissen, daß frühes Kommen lohnt.

Im Saal sind mehr als doppelt so viele Aktionäre wie bei der AUA: 445 Stimmberechtigte werden zu Beginn gezählt. Auch das Podium ist mehr als doppelt so stark besetzt: Neun Vorstände und Aufsichtsräte wappnen sich gegen die zu erwartenden Fragen.

Und die kommen auch: Nachdem Vorstandsvorsitzender Richard Schenz rund eine Stunde lang dargelegt hat, warum die OMV nicht so dasteht, wie es der Vorstand gerne hätte, will der erste Fragesteller wissen: "Wieviel hat das Gratisbenzin für die EU-Ratspräsidentschaft gekostet, und warum sind wir Aktionäre nicht vorher befragt worden? Die OMV ist kein Wohltätigkeitsverein!" Applaus aus dem Publikum. Der Vorstand schmollt: Die Aktion war als Werbung gedacht und kostete läppische 700.000 Schilling. Auch über die Spekulationssteuer, über das Jahr-2000-Problem und ähnliches wollen die Aktionäre Informationen, bis der Aufsichtsratsvorsitzende eine günstige Gelegenheit nützt und zur Abstimmung überleitet.

Wichtiges Requisit: große Tasche

Hier läuft alles den gewohnten Gang: kaum Nein-Stimmen, wenige Stimmenthaltungen. Erstmals etwas Widerspruch gibt es beim Punkt "Vergütung des Aufsichtsrates". Für die sechs Sitzungen im Geschäftsjahr 1998 soll der Vorsitzende 240.000 Schilling erhalten, sein Stellvertreter 180.000 und die übrigen Aufsichtsräte 120.000 Schilling. Sechs Nummernkarten gehen hoch, um dagegen zu stimmen, rund 15 enthalten sich der Stimme. Danach ist der spannende Teil vorbei, gut ein Viertel der Anwesenden zieht hinaus, Richtung Buffet. Eine Stunde später, während gerade die letzten Punkte der Satzungsänderung zur Abstimmung stehen, hat sich das Verhältnis bereits umgekehrt: Ein Viertel der Aktionäre ist noch im Saal, der Rest ist am Schlemmen.

Die Buffet-Tiger haben bereits voll zugeschlagen. Eine elegante Aktionärin im Hermès-Tuch und mit glitzernden Klunkern an Ohren und Hals, die sich an dem Stehtisch neben mir eingerichtet hat, steht strategisch gut: Das köstliche Buffet ist nur wenige Meter entfernt. Ich kann meinen Augen fast nicht trauen, als die feine Dame tatsächlich eine Serviette nimmt und anfängt, einzupacken: mehrere üppig gefüllte Laugenweckerl, ein Sortiment aller Nachspeisen (in doppelter Ausführung) und was sonst noch Platz hat in der großen Ledertasche.

Das ältere Paar, das mir gegenübersteht, schnappt sich ebenfalls noch zwei Gläser Bier von dem vorbeihuschenden Kellner und unterhält sich sowohl mit der Hermès-Dame als auch mit einer Aktionärin auf der anderen Seite. Die Aktionäre österreichischer Großunternehmen scheinen eine eingeschworene Gesellschaft zu sein. "Sind Sie denn morgen auch bei Mayr-Melnhof?", fragt Frau Hermès. "Das kollidiert total mit der Bank Austria! Ich werde das morgen bei der Beschlußfassung vortragen, daß man sich bei den Terminen ein bißchen aufeinander abstimmen könnte!"

Aber der Terminstreß allein ist noch nicht alles; auch an anderer Front haben Aktionäre manche Mühsal zu ertragen: "Nehmen Sie sich doch von der Mehlspeise, sonst ist sie aus", meint meine Nachbarin fürsorglich. Als ich ihr bedeute, daß ich keine möchte, meint sie: "Na ja, ich versteh’s ja! Bei jeder Aktionärsversammlung dasselbe – wer mag schon dauernd Mousse au chocolat?"

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