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Alzheimer: Aktueller Forschungsstand - Interview: "Die große Herausforderung"

Ein Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco, Präsident der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft und Co-Autor unseres Buches "Alzheimer", über den Stand der Forschung, die Behandlung und pflegende Angehörige.

Herr Professor, in regelmäßigen Abständen ist in den Zeitungen zu lesen, dass ein Durchbruch in der Alzheimertherapie kurz bevorstünde. Doch bisher ist der ausgeblieben. Wie ist der aktuelle Stand der Forschung?

Die Forschung konzentriert sich im Augenblick auf die Entwicklung einer Immun­therapie, und zwar einer Impfung, die schon im Frühstadium der Erkrankung dem Betroffenen verabreicht wird. Wir dürfen nicht vergessen: Wenn sich Alzheimer ­klinisch manifestiert, mit Vergesslichkeit, Orientierungsschwäche, Hilflosigkeit usw., befindet sich der Betroffene bereits im letzten Viertel seiner Erkrankung. Was zugleich heißt, dass es zu diesem Zeitpunkt bereits zu neurostrukturellen, neuropathologischen und neurochemischen Veränderungen gekommen ist.

Gegen diese Veränderungen, speziell gegen kleine Eiweißfäden, Amy­loid-beta genannt, und das Taueiweiß richtet sich die Impfung. Die Studien sind bereits weit fortgeschritten. Die große Frage ist: Wem und wann im Verlauf der Alz­heimer­erkrankung werden wir die Impfung geben? Wer wird davon profitieren? Und dies ist zugleich die Frage: Wer wird an Alzheimer erkranken? Das können wir heute noch nicht mit Sicherheit sagen, denn noch fehlen uns die Biomarker, die eine Degeneration eindeutig anzeigen.

Wo setzt die Forschung dabei an?

Der Fokus der Forscher richtet sich momentan auf sogenannte Alzheimerfamilien, auf Familien, in denen die Erkrankung vererbt wird. Die betroffenen Familienmitglieder sind presenilin 1-positiv, das heißt, sie weisen eine Veränderung am Chromosom 14 auf.

Die Forscher interessieren sich insbesondere für die heute 18- bis 25-Jährigen, deren ­Väter vergesslich und deren Großväter ­bereits hilfsbedürftig sind. Diese jungen Erwachsenen schaffen im Augenblick den Alltag ohne Probleme, doch sie wissen, dass sie mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit an Alzheimer erkranken werden, einfach aufgrund der mendelschen Vererbungsgesetze.

Es handelt sich hier um eine sehr homogene Gruppe, die nun prospektiv untersucht wird. Man schaut, welche spe­zifischen Hirnveränderungen bei diesen Personen auftreten. Handelt es sich dabei um eine Abnahme der Synapsenanzahl oder der Transmitterkonzentration? Und wie ­erfolgreich ist bei ihnen die Impfung?


Univ.-Prof. Dr. med. Peter Dal-Bianco

"Was dem Herzen gut tut, tut auch dem Hirn gut" - Alzheimerexperte Univ.Prof.Dr. Peter Dal-Bianco im KONSUMENT-Interview (Foto: Nicolas Hochenegg)

Univ.-Prof. für Klinische Neurologie. Aufbau der ersten österreichischen Spezialambulanz für Gedächtnisstörungen am AKH Wien.

Aufgrund seiner klinischen Studienergebnisse 1996 Zulassung von Galantamin (erstes Alzheimer-Medikament in Österreich). Mitglied nationaler und internationaler Fach­gesellschaften, Publikationen in nationalen und internationalen Fachzeitschriften. Präsident der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft (www.dal-bianco.at).

Wirkstoffe

Bis der entsprechende Wirkstoff in die Apotheken kommt, kann es also noch Jahre dauern?

Vorhersagen lässt sich das nicht. Auch morgen kann bereits der Durchbruch gelingen. Erinnern wir uns, dass kein Mensch nach Antibiotika geforscht hatte, und plötzlich war dieser Wirkstoff da, aufgrund eines ­Laborunfalls, der richtig gedeutet wurde.

Viele Erfindungen in der Medizin verdanken wir dem puren Zufall. Es kommt darauf an, die vorliegenden Daten statistisch redlich auszuwerten und die richtigen Schlüsse zu ­ziehen. Wo einer nur Teile sieht, erkennt ein anderer, ein kluger Kopf, Zusammenhänge.

Alzheimer kann nicht geheilt werden. Wie kann der Arzt dem betroffenen Patienten trotzdem helfen?

Eine kausale Therapie steht tatsächlich noch aus. Doch eine symptomatische ist bereits möglich. Seit 20 Jahren sind Cholin­esterasehemmer auf dem Markt, mit ihnen kann der Fortschritt der Erkrankung verlangsamt werden.

So auch mit Memantin, einem Glutamatrezeptorantagonisten. Hinzu kommt die Behandlung von Verhaltens­auffälligkeiten, hier kommen herkömmliche Medikamente zum Einsatz.

Sie haben am Allgemeinen Kranken­haus Wien die Gedächtnisambulanz aufgebaut und beschäftigen sich seit mehr als 30 Jahren mit Demenz. Hat sich Ihr Bild dieser Erkrankung im Laufe der Jahre verändert?

Ich hatte das Glück, im Jahr 1988/89 mit Galantamin einen der ersten Cholinesterasehemmer zu entwickeln. Vorher gab es überhaupt kein Mittel gegen Alzheimer! Heute betrachte ich die Erkrankung vielleicht holis­tischer, ganzheitlicher, als früher. Für mich fallen Alzheimer-Betroffene nicht ­einer Art Verblödung anheim.

Gewiss, ihre Biografie wird unschärfer, sie verlieren Weltwissen, aber umso klarer kommt ihr Charakter, ihre Persönlichkeit zum Vorschein. Mein Eindruck ist: Wir gebrauchen vielleicht zehn Antennen, diese Menschen hundert. Sie sind emotional wachsamer und auch viel empfindlicher. Sie merken sofort, wenn sie von ihrer Umgebung nicht respektiert werden.

Ich finde zu diesen Menschen sehr gut Kontakt, ich kenne inzwischen ihre unterschiedlichen Sprachen und Mitteilungsformen. Gerne spreche ich auch allein mit ihnen, ohne ihre Begleitung. Das ist eine Form von Respekt, die ich ihnen entgegenbringe.

Betreuung: Sinnstiftung, Selbstschutz

Buchtipp: "Alzheimer"

Jede Zeit hat ihre Krankheit. Heute ist das sicherlich Alzheimer - das schleichende Vergessen. Vor keiner Erkrankung haben die Menschen mehr Angst. Wir klären über diese und andere Formen von Demenz auf. Wir liefern Hintergründe und Tipps, lassen Experten und Betroffene zu Wort kommen und erinnern daran, dass auch ein Mensch mit Alzheimer durchaus glücklich sein kann.

www.konsument.at/alzheimer

Aus dem Inhalt

  • Verlauf einer Alzheimererkrankung 
  • Therapiemöglichkeiten 
  • Betreuung und Pflege 
  • Rechte der Betroffenen 
  • Hilfe und finanzielle Unterstützung

Zweite, überarbeitete Auflage 2017;  240 Seiten, 19,60 € + Versand

 KONSUMENT-Buch: Alzheimer 

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