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Schadstoffe in Alltagsprodukten - Informationen nur auf Anfrage

Über den Gehalt von besonders gefährlichen Substanzen in Alltagsprodukten müssen Händler­ und Hersteller Auskunft geben – wenn sie gefragt werden. Konsumenten sollten von dieser ­Möglichkeit Gebrauch machen.

In vielen Alltagsprodukten sind giftige oder zumindest bedenkliche Chemikalien enthalten, ohne dass wir es wissen. Diese Schadstoffe können die unterschiedlichsten Erkrankungen hervorrufen, etwa Allergien, Asthma, Diabetes, Krebs, Hirnschäden oder Unfruchtbarkeit. Kinder sind besonders gefährdet, weil ihr Körper weniger Widerstandskraft besitzt und weil sie viele Gegenstände nicht nur berühren, sondern auch in den Mund nehmen. 

Bedenkliche Stoffe deklarieren

Nicht nur für besorgte Eltern, für alle Verbraucher und Verbraucherinnen wäre es sehr hilfreich, würden bedenkliche Stoffe deklariert. Doch eine solche Art von Produktinformation scheuen die Verantwortlichen wie der Teufel das Weihwasser. Immerhin hat die EU den Konsumenten aber die Möglichkeit eröffnet, sich diese Informationen zu beschaffen.

Chemikalienverordnung REACH

Die im Jahr 2007 in Kraft getretene Chemikalienverordnung REACH (Registrierung, Evaluierung, Autorisierung und Beschränkung von Chemikalien) sieht eine Auskunftspflicht von Händlern und Herstellern vor. Wenn ein Produkt bestimmte 2besonders besorgniserregende" Stoffe enthält, sind die Unternehmen gesetzlich verpflichtet, dies einem anfragenden Konsumenten innerhalb von 45 Tagen mitzuteilen.

Funktioniert die Bestimmung?

Wir wollten wissen, ob diese Bestimmung in der Praxis auch funktioniert. Unsere Testperson stellte bei 13 Händlern Anfragen per E-Mail über 23 Produkte: Plastikartikel – von Badeenten, Trinkflaschen, Bällen, Badeschuhen, Regenstiefeln bis zu Fußmatten und einem Planschbecken; auch Erotikartikel waren darunter.

 

46 gefährliche Substanzen

Weichmacher, Duftstoffe, PAK

Vor allem weiche Kunststoffprodukte enthalten häufig Substanzen, die Mensch oder Umwelt gefährlich werden können. In einer Studie des deutschen Umweltbundesamtes wird deren Zahl auf 794 geschätzt. Die Auskunftspflicht bezieht sich derzeit auf 46 "besonders besorgniserregende" Substanzen ab einer Konzentration von mindestens 0,1 Gewichtsprozent.

Dazu zählen Phthalate (Weichmacher), polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) oder der Duftstoff Moschus-Xylol. Diese Stoffe stehen unter Beobachtung, sie sind Kandidaten für eine Zulassungspflicht. Für sechs dieser Kandidaten, die derzeit vielfach noch nicht spezifisch beschränkt sind, ist das Urteil bereits gefällt: Sie dürfen ab Mitte 2015 nur mehr dann in Produkten eingesetzt werden, wenn eine Zulassung besteht.

Die meisten Unternehmen informieren richtig

Das Ergebnis unserer Untersuchung zeigt, dass die meisten Unternehmen sachlich richtig und innerhalb der vorgegebenen Frist antworten: 9 von 13. Wenn auch festzuhalten ist, dass die Fristsetzung von 45 Tagen im Zeitalter des E-Mail-Verkehrs äußerst großzügig bemessen ist. Eine Firma, der Erotikmarkt by Secret Factory, reagierte als Einzige überhaupt nicht.

Delka, SEWA, Hervis

Drei Firmen hatten offensichtlich den Sinn der REACH-Regelung nicht erfasst und ergingen sich in allgemeinen Stellungnahmen über die Unbedenklichkeit ihrer Produkte, anstatt auf die Kandidatenstoffe einzugehen. Das waren der Schuhhändler Delka, die Diskontkette SEWA sowie bei einem Produkt auch der Sporthändler Hervis. Zu den Massagebällen leitete er uns folgende Herstellerauskunft weiter: "Wir achten darauf, dass alles sinngemäß überprüft wird und überwachen dies mit anerkannten Prüfinstituten …“ Die Antwortquote lag deutlich höher als in vergleichbaren Untersuchungen in Deutschland.

Deutsche Firmen hatten schon Erfahrung

Zuletzt war im September des Vorjahres eine Recherche veröffentlicht worden, bei der jedes dritte Unternehmen gesetzwidrig die Verbraucher nicht über vorhandene Schadstoffe informierte. Das zeigt wohl, dass sich die Gesetzeslage mittlerweile innerhalb der Wirtschaft herumgesprochen haben dürfte; Firmen, die ihren Stammsitz in Deutschland haben, waren möglicherweise durch ähnliche Anfragen in der Vergangenheit bereits vorgewarnt.

KIK und SEWA: Weichmacher


Einige der Produkte ließen wir darüber hinaus beim österreichischen Umweltbundesamt gezielt auf die fraglichen Chemikalien untersuchen. In 11 von 15 wurden Problemstoffe nachgewiesen, in den meisten Fällen lag die Konzentration allerdings unter 0,1 Prozent oder es handelte sich um Substanzen, die nicht auskunftspflichtig sind. Die Firmenangaben (sofern sie sachlich korrekt waren) stimmten fast durchwegs mit den Ergebnissen der Analyse überein. Nur Forstinger gab einen höheren Phthalatgehalt an als tatsächlich nachgewiesen werden konnte.

Weichmacher, die die Fortpflanzung gefährden

Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass 2 der 15 Artikel besonders bedenkliche Stoffe zu über 0,1 Gewichtsprozent enthielten - siehe Bild: Ein Federpennal der Firma KiK enthielt 1,5 Prozent an DEHP, die Antirutsch-Figuren von SEWA wiesen sogar 36 Prozent an DIBP auf – beide Weichmacher stehen auf der Liste jener Chemikalien, die die Fortpflanzungsfähigkeit gefährden. Mit beiden ist beim Gebrauch enger Hautkontakt möglich.

Bedenklicher Gehalt an DEHP: Hot-Wheels-Federpennal von KIK (Foto: Schreiner/VKI)   Bedenklicher Gehalt an Weichmacher (DIBP): Antirutsch-Auflage von SEWA
Bedenklich: Federpennal von KIK ... und Antirutsch-Auflage von SEWA2


Bei den Antirutsch-Auflagen können die Weichmacher durch das Badewasser gelöst werden und so viel leichter in den Körper gelangen. Das Federpennal wiederum gilt nicht als Kinderspielzeug, sonst wäre der nachgewiesene Phthalatgehalt verboten. Dennoch wird es nicht wenige Kinder geben, die auch ein Federpennal hin und wieder mit dem Mund berühren.

Hätte es sich nicht um Fertigprodukte wie Plastikfiguren oder ein Federpinnal sondern um sogenannte Gemische wie Lacke oder Reinigungsmittel gehandelt, wären so hohe Konzentrationen an diesen fortpflanzungsgefährdenden Stoffen verboten. Hier besteht also noch Handlungsbedarf. 

Konsumentenanfragen machen Druck

Die Auskunftspflicht gemäß REACH hat nicht zuletzt den Sinn, das Bewusstsein für bedenkliche Chemikalien in Alltagsprodukten zu schärfen. Der Informationsfluss vom Produzenten zum Händler soll verbessert werden und ist auch verpflichtend geregelt. Beide sollten darüber hinaus durch möglichst häufige Anfragen motiviert werden, eine Verringerung unnötiger Belastungen durch Schadstoffe anzustreben. Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass die meisten Händler der Auskunftspflicht nachkommen. "Besonders besorgniserregende" Substanzen haben in Alltagsprodukten nichts verloren, in zwei der untersuchten Artikel waren sie aber noch in relativ hoher Konzentration enthalten.

Konsequenzen? Schweigen im Walde

Die Frage, welche Maßnahmen ergriffen werden, um möglichst schadstofffreie Produkte anzubieten, blieb von den meisten Händlern leider unbeantwortet. Keine Frage, eine Kennzeichnung auf dem Produkt wäre viel wirksamer als das Recht auf Auskunft, das nur von einer hochmotivierten Minderheit in Anspruch genommen wird.

Kaufentscheidungen werden meist spontan im Geschäft getroffen. Wer möchte schon 45 Tage (immerhin über 6 Wochen) warten, bis er Gewissheit über die Unbedenklichkeit der gekauften Produkte erhält? Aber betrachten wir es als ersten zaghaften Schritt in die richtige Richtung!

Tabelle: Auskünfte über Chemikalien

Um diese Schadstoffe geht es

DBP, DEHP, DIBP und PAK werden als besonders besorgniserregende Chemikalien (SVHC - substances of very high concern) eingestuft.

DBP: Di-n-butylphthalat. Fortpflanzungsgefährdend1; sehr giftig für Wasserlebewesen. In Kosmetika verboten. In Spielzeug und Babyartikeln ab einem Anteil von > 0,1% verboten. Ab 2015 generell verboten, außer es wurde für den jeweiligen Verwendungszweck zugelassen.

DEHP: Di(ethylhexyl)phthalat. Bis vor wenigen Jahren eines der am meisten eingesetzten Weichmacher. Fortpflanzungsgefährdend1; verursacht Schäden an Hoden, Nieren und Leber. Reichert sich in Boden, Sedimenten und tierischem und menschlichem Gewebe an. Risikogrenzwerte in der Allgemeinbevölkerung werden vereinzelt bereits überschritten. In Kosmetika verboten. In Spielzeug und Babyartikeln ab einem Anteil von > 0,1% verboten. Ab 2015 generell verboten, außer es wurde für den jeweiligen Verwendungszweck zugelassen.

DEHTP: Di(ethylhexyl)terephthalat. Ersatzstoff für Phthalate, der für den Menschen relativ ungiftig ist. Reichert sich in der Umwelt an und ist kaum abbaubar. Auswirkungen auf die Umwelt sind wenig untersucht.

DIBP: Di-iso-butylphthalat. Fortpflanzungsgefährdend1, in Kosmetika verboten. In Spielzeug und Babyartikeln ab einem Anteil von > 0,1% verboten.

DINP: Di-iso-nonylphthalat. Ersatzstoff für fortpflanzungsgefährdende Phthalate, der für den Menschen relativ ungiftig ist. Aus Vorsorgegründen trotzdem in Spielzeug und Babyartikeln ab einem Wert von > 0,1% verboten. Der Stoff reichert sich in der Umwelt an und ist kaum abbaubar. Auswirkungen auf die Umwelt sind kaum untersucht.

PAK: Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe. Eine Reihe komplexer Kohlenwasserstoffe, die bei der unvollständigen Verbrennung entstehen. Sie entfetten die Haut und führen zu Hautentzündungen sowie Hornhautschädigungen. Weiters reizen sie Atemwege, Augen und den Verdauungstrakt. Einige PAK sind eindeutig krebserregend und möglicherweise fruchtschädigend. Sie beeinträchtigen die Fortpflanzungsfähigkeit1;. Einige Fraktionen zählen zu den besonders besorgniserregenden Chemikalien. In Autoreifen ist ihr Gehalt stark beschränkt. Für alle anderen Verbraucherprodukte gilt dies leider nicht. Ausnahme: Spielzeug – hier Erfolgt ein Verbot ab der Einstufung als "krebserzeugend". Der allgemeine Grenzwert ist dabei 0,1%. Dieser wird vom dt. Bundesinstitut für Risikoforschung aber als viel zu hoch kritisiert.

1 Fortpflanzungsgefährdend bedeutet: bei längerer oder wiederholter Exposition wird die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigt. Diese Chemikalien stören hauptsächlich die männliche Fruchtbarkeit (verminderte Spermienzahl). Es kann auch zu Entwicklungsstörungen bei Nachkommen kommen.

Zusammenfassung

  • Informationsrecht nutzen. Erkundigen Sie sich über den Gehalt von Schadstoffen in Produkten. Händler wie auch Hersteller sind gesetzlich verpflichtet, über den Gehalt „besonders besorgniserregender“ Substanzen Auskunft zu geben; auch wenn Sie das Produkt nicht kaufen. Für Ihre Anfrage finden Sie hier einen Musterbrief.
  • Besonders besorgniserregende Stoffe. Wo können sie enthalten sein? Weichmacher (Phthalate) in vielen Produkten aus Weich-PVC: in Regenbekleidung, Regenstiefeln, Duschvorhängen, Spielzeug. PAKs (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) finden sich in Rucksäcken, Werkzeug, Badesandalen, Griffen von Dreirädern, Fahrrädern etc. Häufig, aber nicht notwendigerweise handelt es sich um schwarz gefärbte Kunststoffe.
  • Riechtest. Produkte, die einen unangenehmen Geruch verbreiten, sollten Sie meiden. Dies kann auf einen Gehalt an bedenklichen Stoffen hinweisen. So kann der Geruch nach Verbranntem auf PAKs hinweisen.

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