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Werbung: Österreichischer Werberat - Selbstkontrolle auf Zuruf

Wer sich über Werbung beschweren möchte, kann sich an den Österreichischen Werberat wenden. Von sich aus wird der ÖWR nicht aktiv. In rund jedem zweiten Beschwerdefall findet das Selbstkontrollgremium der Werbewirtschaft jedoch keinen Grund, einzuschreiten.

Werbung für Produkte und Dienstleistungen hat längst nicht mehr nur rein informativen Charakter. Sie transportiert Anschauungen, Gefühle, Lebenswelten – meist unterhaltsam, witzig, kreativ, aber immer öfter auch provokant oder aggressiv. Übertreiben und tricksen inklusive. Ethisch-moralische Grundsätze werden zweitrangig, wenn es gilt, in der zunehmenden Werbeflut nicht unterzugehen. Auffallen um jeden Preis, lautet die Devise. Aufregen, polarisieren, manchmal bis an die Grenze des guten Geschmacks. Doch wie weit darf Werbung gehen? - Lesen Sie dazu auch den Kommentar "Werberat - Fehlanzeige" von Konsument-Chefredakteur Gerhard Früholz.

Verboten oder verpönt

In den meisten europäischen Ländern verpflichtet sich die Werbewirtschaft freiwillig zur Einhaltung verschiedener Selbstbeschränkungen und Kodizes. Deren Vorgaben leiten sich in der Regel von den Internationalen Verhaltensregeln für die Werbepraxis ab, die schon 1937 von der Internationalen Handelskammer entwickelt wurden. Demnach sollten Werbeaussagen u.a. den Grundsätzen in Bezug auf "gute Sitten“ und des "lauteren Wettbewerbs“ entsprechen sowie "Irreführung“ oder "Diskriminierung“ vermeiden. Gesetzliche Bestimmungen gibt es dagegen nur wenige. In Österreich verbietet das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) aggressive Geschäftsmethoden – Konsumenten dürfen nicht durch Belästigung, Nötigung oder unzulässige Beeinflussung zu einer Kaufentscheidung veranlasst werden, die sie andernfalls nicht getroffen hätten.

Irreführende Methoden sind verboten

Ebenso verboten sind irreführende Methoden: wenn unrichtige Angaben über ein Produkt die Konsumenten täuschen und zum Kauf bewegen. Das Verbot der Irreführung ist auch im Österreichischen Rundfunkgesetz verankert. Die Regelung der kommerziellen Kommunikation untersagt weiters die Verletzung der Menschenwürde, eine Diskriminierung aufgrund von Rasse, Geschlecht, Alter, Religion usw. sowie Kaufaufforderungen an Minderjährige. Zum Schutz von Kindern hat sich der ORF darüber hinaus freiwillige Richtlinien auferlegt.

Anlaufstelle für Beschwerden

Wächter über Moral und Anstand

Mit dem Vorhandensein von Verhaltensregeln und Ehrenkodizes allein ist es aber offenbar nicht getan. Daher haben sich in vielen europäischen Ländern Institutionen etabliert, deren Aufgabe es ist, Verantwortungsbewusstsein und Selbstdisziplin der Werbewirtschaft zu fördern sowie die Einhaltung der akzeptierten Richtlinien zu kontrollieren und gegebenenfalls zu sanktionieren. In Österreich ist das der Österreichische Werberat mit Sitz in Wien. Im Trägerverein sind heute alle wichtigen Kommunikationsverbände Österreichs vertreten. Das Entscheidungsgremium setzt sich aus rund 160 Mitgliedern aus den Bereichen der Auftraggeber, der Werbeagenturen und der Werbeträger, also der Medien, zusammen. Daneben sind auch Personen aus sogenannten übergreifenden Organisationen vertreten – etwa vom Wiener Programm für Frauengesundheit, vom Frauenhaus, der Männerberatung sowie Rechtsanwälte u.a.m.

Anlaufstelle für Beschwerden

Als Mittler zwischen der Werbebranche und den Verbrauchern hat der ÖWR der einen Seite freie Meinungsäußerung zuzugestehen und andererseits Missbräuche in der Werbung zu verhindern. Jeder Konsument, der sich durch eine Werbekampagne gestört, verletzt, abgewertet, diskriminiert oder getäuscht fühlt, kann sich – kostenlos – an den Werberat wenden. Den Ablauf einer Beschwerde sehen Sie in der Infografik.

2011 278 Beschwerden bearbeitet

ÖWR: Beschwerdeablauf beim Werberat (Grafik: ÖWR) 
So behandelt der Werberat
Beschwerden (Grafik: ÖWR)
 

Die Geschäftsstelle überprüft vorab, ob die Beschwerde in ihre Zuständigkeit fällt. Das betroffene Unternehmen und die Werbeagentur werden zu einer Stellungnahme aufgefordert, zusätzlich werden Stellungnahmen von Experten eingeholt. Diese legt der Werberat seinen Gremiumsmitgliedern vor, die dann gemäß ihren Kodex-Richtlinien abstimmen, ob die vorliegende Beschwerde kein Einschreiten erfordert oder ob das Unternehmen zur Sensibilisierung bzw. zum Stopp der Werbekampagne aufgefordert werden soll. Insgesamt 278 Beschwerden hat der ÖWR im vergangenen Jahr bearbeitet. In 139 Fällen wurden Entscheidungen getroffen; davon erging 10 Mal eine Aufforderung zum Stopp der Werbung.

Daten und Fakten zum ÖWR

  • Vorstandsmitglieder: 12 (davon 4 weiblich)
  • Mitglieder im Entscheidungsgremium: rund 160 Personen
  • Beschwerden pro Jahr: zwischen 200 und 500
  • Urteile pro Jahr: durchschnittlich 130
  • Beschwerden: per Post an Wiedner Hauptstraße 57, 1040 Wien, oder Online-Formular auf www.werberat.at

Interview: ÖWR-Präsident Michael Straberger

"Aus Sicht der Wirtschaft ist keine Verschärfung notwendig“ - Interview mit Michael Straberger, Vorstandspräsident des ÖWR

 

Michael Straberger, Vorstandspräsident des ÖWR (Bild: Nadine Bargad)
Michael Straberger
Vorstandspräsident ÖWR

KONSUMENT: Eine Umfrage von konsument.at ergab, dass unter 201 Teilnehmern nur 23 % den Werberat kannten. Wie wollen Sie Personen erreichen und informieren, die noch nie vom Werberat gehört haben?
Straberger: Wir können uns nicht selbst bewerben, aber wir arbeiten daran, in der Bevölkerung als Serviceeinrichtung bekannter zu werden. Dabei hoffen wir auch auf die Mithilfe der Medien.

Ihr Gremium umfasst heute zirka 160 Personen. Ist es bei so vielen Mitgliedern nicht schwierig, zu einem Konsens zu kommen?
Wir wollen alle Meinungen und Positionen in einen pluralistischen Prozess einbeziehen. Nach Einlangen einer Beschwerde holen wir neben Stellungnahmen des betroffenen Unternehmens oder der Agentur auch Expertisen ein und übermitteln diese dem Gremium. Anhand dieser Stellungnahmen und auf Basis des jeweiligen Kodex wird in den drei Kategorien „Kein Grund zum Einschreiten“, „Sensibilisierung“, „Stopp“ abgestimmt.

Die beiden großen Maturareiseveranstalter (Splashline und DocLX) haben bis vor Kurzem besonders aggressiv mit unbegrenztem Alkoholangebot für ihre Reisen geworben. Wie finden Sie persönlich diese Art von Werbung?
Ich persönlich finde das gar nicht gut.

Und was sagt der Werberat zu dieser Art von Werbung?
Diese Frage kann ich nicht beantworten, weil der Werberat mit dieser Art von Werbung noch nicht befasst war, sprich: bisher keine Beschwerden eingegangen sind. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Werberäte ähnlicher Meinung sind wie ich.

Warum ist nicht vorgesehen, dass der Werberat von sich aus einschreiten kann?
Weil das Prinzip der Selbstregulierung in Österreich auf einem Beschwerdesystem für Bürgerinnen und Bürger basiert. Werbung ist dadurch von den Menschen überwacht, für die sie gemacht wird. Und ein Faktum sollte man nicht übersehen: 165 Werberätinnen und -räte sind auch besonders sensibilisierte Konsumenten. Gehen wir einmal davon aus, dass die eine oder der andere auch mal als Privatperson eine Beschwerde platziert.

Wie ist das bei Kinderwerbung – laut UWG ist Werbung mit direktem Kaufappell an Kinder verboten. Die Werber halten sich aber weder an das Gesetz noch an Ihre Kodizes. Warum wird der Werberat da nicht von sich aus aktiv?
Bei uns ist es halt so, dass uns irgendwer anstoßen muss. Und wir sind nicht gegen Werbung, die Produktwelten für Kinder betrifft. Wenn es um solche Aufforderungsmechanismen geht, wenn ethisch-moralische Spielregeln zu definieren sind, gibt es einen Aufholbedarf, da sind die Kriterien noch adaptionswürdig. Ansonsten ist aus Sicht der Wirtschaft – nicht nur in Österreich, sondern auch aus europäischer Sicht – keine Verschärfung notwendig. Grundsätzlich gibt es eine Verantwortung innerhalb der Familie, die kann man nicht der Werbung oder Wächterorganisationen zuspielen.

Der Großteil Ihres Gremiums setzt sich aus Personen der Wirtschaft zusammen. Wie können Sie da objektiv urteilen?
Der Werberat steht auch dafür, dass gute, freie Werbung für die österreichische Wirtschaft möglich sein muss – das darf man ihm nicht vorwerfen. Wir haben einen Kodex, und auf dieser Basis entscheidet das Gremium, ob etwas für die Gesellschaft ein Problem ist oder nicht.

Sind die Aufforderungen an Werbefirmen zur Sensibilisierung nicht zu weich formuliert? Warum wird nicht mehr Druck ausgeübt?
Wir wollen keine Plattform sein, die ein Unternehmen vorführt, an den Pranger stellt. Wir verstehen uns als Einrichtung, die die österreichische Wirtschaft unterstützt, indem sie Spielregeln bewusster macht. Und die Wirtschaft ist mittlerweile sehr bemüht, sich auf mehr Sensibilität hinzubewegen.

Entscheidungen des ÖWR

Kampagne/Beschwerde  Entscheidung/Ausgang des Verfahrens
Actimel: „Herbert, trink das!“ – diskriminiert Männer  ABGEWIESEN
AMA-Spots „Fleisch bringt‘s“ , „Fleisch macht intelligenter“  KEIN GRUND ZUM EINSCHREITEN 1)
FPÖ-Slogan „Heimatliebe statt Marokkanerdiebe“ NICHT ZUSTÄNDIG
IKEA-TV-Spot: Pärchen wird bei Geschlechtsakt von Freund gestört – „wenn Sie einmal Größeres zu verstauen haben“  KEIN GRUND ZUM EINSCHREITEN
Lenzing AG: spärlich bekleidete Frau wirbt mit dem Slogan „Fasern, die anziehen“  KEIN GRUND ZUM EINSCHREITEN
Palmers-Werbespot: vorgeblich blindes Dessous-Model  KEIN GRUND ZUM EINSCHREITEN
Renault Kriegner: Männerhände am Hinterteil einer Frau – „Lassen Sie nicht jeden an Ihre Karosserie“  AUFFORDERUNG ZUM STOPP
Telering-Werbespot: Prügelei zwischen Christkind und Weihnachtsmann  SPOT WURDE GEÄNDERT


1) Eine große Anzahl der Werberäte hat sich für Aufforderung zu "mehr Sensibilität“ ausgesprochen
Eine Auflistung sämtlicher Beschwerden und deren Beurteilung ist auf www.werberat.at zu finden.


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Gefördert aus Mitteln des Sozialministeriums 

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