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Pflegende Angehörige - Alleine gelassen

Viele pflegebedürftige Menschen wollen lieber in den eigenen vier Wänden leben und nicht in eine Pflegeeinrichtung übersiedeln. Ohne die Unterstützung ihrer Angehörigen wäre dies meist nicht möglich. Wir haben zwei pflegende Angehörige besucht.

Fall 1: Pflege als Belastung ...

Christa Koenne machte bereits als Kind ihre ersten Erfahrungen, was die Pflege eines hilfsbedürftigen Angehörigen anbelangt. Durch eine lebensbedrohliche Herzmuskelentzündung während der Schwangerschaft, war ihre Mutter nach einem Kaiserschnitt physisch und psychisch in einem sehr schlechten Zustand.

Weil ihr Vater sechs Wochen vorher verstorben war, war Christa mit ihren elf Jahren die Älteste im Haus, die sich um Mutter und Neugeborenes kümmern konnte. "Ich war völlig überfordert mit der Situation. Aber ich hatte keine Wahl. Es wurde von mir verlangt und ich habe die Erwartung erfüllt, auch wenn ich tief verunsichert war."

... oder als Erfüllung

Dass Pflege und Betreuung auch etwas ­völlig anderes sein kann, erlebte Christa Koenne, als sie selbst Mutter wurde: "So selbstverständlich, wie ich als Kind für ­meine Mutter da war, war ich es natürlich für meine Kinder. Die Aufgabe war vergleichbar, die Erfahrung eine völlig andere. Als Kind war es belastend, die eigene ­Mutter zu pflegen. Als Mutter war es erfüllend, sich um die eigenen Kinder zu kümmern."

Unterstützung durch 24-Stunden-Hilfe

30 Jahre später ist es wieder ihre Mutter, die auf Christa Koennes Hilfe angewiesen ist. "Mein Bruder und ich haben ihr versprochen, dass sie einmal nicht ins Heim muss. So habe ich sie zu mir nach Hause geholt", sagt sie. Zu dieser Zeit ist Dr. Christa Koenne als Direktorin eines ­großen Gymnasiums in Wien gefordert. Um die Pflege der Mutter bewältigen zu können, ist sie auf die Unterstützung durch eine 24-Stunden-Hilfe angewiesen.

Problem Emotionalität

Innerlich abgelehnt

In der Wahrnehmung ihrer Freunde und ­Bekannten ist es "das Beste, was ihrer ­Mutter passieren kann", für die Pädagogin ist die Pflege der eigenen Mutter alles andere als unproblematisch. "Ich hatte nie eine ­unbelastete Beziehung zu meiner Mutter, und die Überforderung der 11-Jährigen wirkte immer noch nach. Ich hatte es ihr versprochen, sie zu pflegen, innerlich habe ich es abgelehnt. Nach der Arbeit habe ich das Heimgehen hinausgezögert, gut gefühlt ­habe ich mich damit nicht."

Die Tochter spürt, dass die Mutter sich nach körperlicher Nähe sehnt, danach, in den Arm genommen und gestreichelt zu werden. Doch es ist Christa Koenne nicht möglich, ihrer Mutter das zu geben. Zweieinhalb Jahre dauert die Pflegezeit, dann stirbt die Mutter.

Problem Emotionalität

Die Pflege anderer Menschen begleitet Christa Koenne weiter. Vor zweieinhalb Jahren hatte ihr Lebensgefährte einen Schlaganfall und ist seither auf Hilfe angewiesen. Wieder macht sie die Erfahrung, dass die Wahrnehmung von außen und ­eigenes Empfinden auseinanderklaffen.

"In meinem sozialen Umfeld heißt es, was für ein Glück, dass er mich hat, doch ich spüre immer mehr, dass ich seinen Bedürfnissen nicht entsprechen kann", sagt Christa ­Koenne.

Beruf als stabilisierender Faktor

Und sie fügt hinzu: "Die Emotionalität ist für mich das größte Problem bei der Pflege von Angehörigen, denn die bereits vorhandenen Gefühle werden dadurch erheblich verstärkt." Die Kraft und Energie, um selbst mit der Situation fertigzuwerden, schöpft die mittlerweile 75-Jährige vor ­allem auch daraus, dass sie nach wie vor beruflich tätig ist. Derzeit arbeitet sie an einem Projekt für den Stadtschulrat Wien zu Urbanität und Bildung.

Psychotherapie und soziales Umfeld

Fall 2: Querschnittgelähmte Mutter

Auch Konstantin Prager wird schon in ­jungen Jahren damit konfrontiert, was ein Pflegefall in der Familie bedeutet. Im Jahr 2008 hatte seine Mutter einen Unfall. Seither betreuen der heute 24-Jährige und sein Vater die Querschnittgelähmte gemeinsam.

"Ich war in einem Pfadfinderlager, als ich vom Unfall erfuhr. Es war natürlich ein Schock, aber für mich war sofort völlig klar, dass ich für meine Mutter da sein werde", sagt Konstantin Prager. Das Leben des damals 14-Jährigen ändert sich von Grund auf. Noch während seine Mutter im Spital liegt, übersiedeln er und sein Vater in eine barrierefreie Wohnung. Ein Jahr nach dem Unfall kommt die Patientin nach Hause.

Kindheit mit einem Schlag zu Ende

Die Betreuung der Mutter beeinflusst Konstantins Alltag bis heute. Der Tagesablauf folgt einem exakten Zeitplan. "Meine Kindheit war mit einem Schlag zu Ende. Ich hatte genug Konflikte mit mir selber auszu­machen. Plötzlich waren meine Eltern, die für mich immer stark und unbesiegbar gewesen waren, verletzlich", sagt Konstantin Prager. Der Jugendliche litt unter seinen Ängste und dem Gefühl, der Herausforderung nicht gewachsen zu sein. Nach außen versuchte er, Stärke zu zeigen.

"Zum Glück erkannte mein Vater, in was für einer Situation ich mich befand, und ermöglichte mir eine Psychotherapie." Zwei Jahre lang war Konstantin Prager in Therapie. Dass er an der Situation nicht zerbrach, schreibt er der Unterstützung zu, die er aus seiner Familie und seinem sozialen Umfeld erfuhr.

Pflege-Knowhow selbst erarbeitet

Selbst erarbeiten

Die Pflegetätigkeit ist anfangs mühsam und beschwerlich. "Wir hatten keine Ahnung. Wir wussten nicht einmal, wie man Wundver­bände wechselt. Mein Vater und ich sind ins Spital gefahren und haben uns zeigen lassen, wie das geht. Auch was die Organisation von Pflege anbelangt und wie das Sozialsystem funktioniert, sagt einem niemand.

Man muss sich das alles selber erarbeiten. Es wird einfach erwartet, dass die Angehörigen alles ­regeln und mit dem Pflegegeld, das vom Staat gezahlt wird, das Auskommen finden. Mit einem Betrag, der gelinde gesagt eine Frechheit ist", kritisiert Konstantin Prager.

Bessere finan­zielle Unterstützung

Inzwischen lebt Konstantin Prager in einer eigenen Wohnung in unmittelbarer Nähe zu seinem Elternhaus. Er weiß, dass der Tag kommen wird, an dem die Familie den ­Pflegeaufwand nicht mehr alleine wird bewältigen können und er und sein mittlerweile 72-jähriger Vater auf eine professionelle ­Pflegekraft angewiesen sein werden.

Für die Zukunft wünscht sich Konstantin Prager vor allem, dass die Anerkennung für pflegende Angehörige nicht länger nur auf symbolische Gesten beschränkt bleibt. "Sie muss dort ­ansetzen, wo sie dringend gebraucht wird. Es bedarf endlich einer ­gebührenden finan­ziellen Unterstützung durch den Staat."

Interview mit Birgit Meinhard-Schiebel

"Das Gesundheitssystem profitiert enorm"

Birgit Meinhard-Schiebel (Foto: Christian Anderl)
Birgit Meinhard-Schiebel

Wie kam es zur Gründung der IG?
Im Jahr 2010 habe ich als ehemalige Angestellte des Österreichischen Roten Kreuzes an einer Veranstaltung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) zum Thema Pflege und Gesundheit teilgenommen. Dort habe ich viele pflegende Angehörige kennengelernt. Fast alle sagten, dass sie sich alleine fühlen und nicht ­wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Ein Ergebnis der Veranstaltung war, dass dringender Bedarf für eine Vertretung der pflegenden Angehörigen besteht.

Wie viele Menschen in Österreich sind in die Pflege ihrer Angehörigen involviert?
Dazu gibt es nur Schätzungen. Wir haben rund 450.000 Bezieherinnen und Bezieher von Pflegegeld. Wenn man annimmt, dass auf jeden dieser Menschen zwei bis drei Familienangehörige kommen, die in irgendeiner Form unterstützend tätig sind, kann man wohl davon ausgehen, dass es bis zu eine Million pflegende Angehörige sind.

Was für eine Unterstützung bietet die Interessengemeinschaft?
Wir bieten die Möglichkeit zu einem ­Beratungsgespräch und liefern vor allem Informationen rund um die Pflege zu Hause: Wo bekomme ich welche Unterstützung, wie kann ich Vorsorge treffen, um im Fall eines Falles bestmöglich vorbereitet zu sein. Wir haben in jedem Bundesland eine Koordinatorin bzw. einen Koordinator und in Wien eine auf Teilzeitbasis angestellte Koordinatorin.

Wo wünschen Sie sich mehr staatliche Unterstützung?
Wir bräuchten ein für die individuellen ­Bedürfnisse maßgeschneidertes Angebot. Derzeit kann man nur zwischen Besuchsdienst, Heimhilfe und 24-Stunden-Pflege wählen, dazwischen gibt es kaum etwas. Viele bräuchten aber nur stundenweise ­Unterstützung bzw. Unterstützung für bestimmte Tätigkeiten. Dringend erforderlich wäre eine jährliche Valorisierung des Pflegegeldes, und es fehlt in Österreich an einer flächendeckenden, kostenlosen Beratung. Ideal wäre, wenn es eine Person gäbe (eine Gemeindepflegerin bzw. einen Gemeindepfleger), die als Drehscheibe fungiert und mehrere Familien zugleich betreut – hel­fende Hand und Vertrauensperson in einem.

Woran scheitert es?
Es wird behauptet, die finanziellen Ressourcen seien nicht vorhanden. Das stimmt aber nicht. Das Gesundheitssystem profitiert enorm durch die Arbeit der pflegenden ­Angehörigen. Schätzungen zufolge macht die Wertschöpfung drei Milliarden Euro pro Jahr aus. 80 Prozent der pflegenden Angehörigen sind Frauen. Diejenigen, die noch im Erwerbsleben stehen, geben häufig ihre Erwerbstätigkeit teilweise oder ganz auf, um die Pflege bewältigen zu können. Für sie kann das beim eigenen Pensionsantritt nachteilige Folgen haben und sie in die Armutsfalle führen. Dazu kommt, dass viele durch die körperliche und psychische Belastung auch selbst öfter krank werden, wodurch wiederum Kosten für das Gesundheitssystem entstehen, anstatt es zu entlasten. Ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt.

Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger

Die Angehörigen von pflegebedürftigen Menschen leisten einen Großteil der Pflegearbeit in Österreich. Ohne sie würde das Pflegesystem nicht funktionieren.

Anerkennung für ihre Arbeit, etwa in Form finanzieller Unterstützung durch den Staat, gibt es jedoch kaum. Bezeichnenderweise ist es ein privater Verein, die "Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger", der sich maßgeblich für ihre Belange einsetzt.

Ehrenamtlich geführt

Die Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger wurde im Jahr 2010 gegründet und wird bis heute ehrenamtlich geführt. Unterstützt wird der Verein vom Roten Kreuz, von AUVA, UNIQA, der Wiener Städtischen und der Donau Vienna Insurance Group. Zudem erhält die Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger Fördermittel aus dem Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz.

Pflegende Angehörige, die Unterstützung benötigen, können sich unter der Rufnummer 01 589 00-328 oder über die Mailadresse office@ig-pflege.at an die Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger, Wiedner Hauptstraße 32, 1040 Wien, wenden. In Wien kann nach Anmeldung auch ein persönlicher Termin (Dienstag bis Donnerstag von 9 bis 14 Uhr) vereinbart werden.

Buchtipp: "Der Pflege-Ratgeber"

Der Pflege-Ratgeber, 2. Auflage

www.konsument.at/pflege-ratgeber

Etwa 450.000 Menschen beziehen in Österreich Pflegegeld, sind also auf Betreuung und Hilfe angewiesen. Ihre Angehörigen stehen vor der Herausforderung, deren Pflege zu organisieren. Doch welche Möglichkeiten gibt es? Kann der oder die Betroffene zu Hause betreut werden oder ist ein Heim die bessere Lösung? Wie findet man einen guten Pflegedienst oder das passende Heim? Wo erhält man Rat und Hilfe? Und schließlich: Was kostet das alles? Der "Pflege-Ratgeber“ unterstützt Betroffene und ihre Angehörigen bei allen Fragen rund um dieses schwierige Thema.

Aus dem Inhalt

  • Pflege organisieren und finanzieren
  • Unterstützung für Angehörige
  • Pflegegeld und private Vorsorge 
  • Pflegeheim und Heimvertrag 
  • 24-Stunden-Betreuung
  • Das neue Erwachsenenschutzrecht 
  • Sterbehilfe

320 Seiten, € 24,90 + Versand; ISBN 978-3-7093-0630-7

 

 

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