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Professor Schneider
Schwarzarbeit ist per se nicht verwerflich, meint Professor Friedrich Schneider. Bild: VKI

Schwarzarbeit: "Pfusch erhöht unseren Wohlstand" - Interview mit Prof. Schneider

, aktualisiert am

Professor Friedrich Schneider forscht seit vier Jahrzehnten zum Pfusch. Wir trafen den renommierten Ökonomen in der Johannes-Kepler-Universität Linz.

KONSUMENT: Herr Professor Schneider, finden Sie Schwarzarbeit eigentlich ­verwerflich?
Schneider:
Nein, per se finde ich Schwarzarbeit nicht verwerflich. Sie ist ein Bestandteil unseres Lebens. Es gibt ganze Bereiche, die wir fast komplett in die Schwarzarbeit ausge­lagert haben. In 90 Prozent aller österreichischen Haushalte arbeitet die Putzkraft schwarz. Wahrscheinlich sind’s sogar mehr. Sehr lange war’s auch die Nachhilfestunde. Jetzt gibt’s mehr und mehr organisierte Lernhilfen, die das professionell machen. Jedes 2. Einfamilienhaus, zumindest hier in Oberösterreich, gäbe es ohne den Pfusch nicht. Weil wenn man alles, vom ersten Spatenstich bis zum letzten Pinselstrich, mit Rechnung macht, kann man sich das nicht leisten.

Alles bestens also?
Provokant kann man es so formulieren: Der Pfusch erhöht unseren Wohlstand. Aber es gibt natürlich auch Verlierer. Der größte ist der Staat, und hier wahrscheinlich die Sozialversicherungsträger. Ihnen fehlen durch den Pfusch Beitragseinnahmen. Dem Staat fehlen Steuereinnahmen. Wobei hier die Geschichte etwas komplizierter ist. Weil das im Pfusch verdiente Geld meistens sofort wieder ausgegeben wird, sodass zumindest die Mehrwert­steuer bzw. andere Verbrauchssteuern fällig werden.

Wo liegen die Grenzen von Schwarzarbeit? Die Nachhilfe­stunde, die ein Mathematik-­Student einem Schulkind gibt – ist das schon illegal?
Schwarzarbeit beginnt dort, wo man ­steuerpflichtig ist. Wenn man’s im beschränkten Umfang macht, ist es nicht steuerpflichtig. Sozialversicherungspflichtig aber relativ rasch, doch es gibt gewisse Freigrenzen. Wenn der Student nur 200, 300 Euro damit verdient und er macht sonst keine andere Arbeit, dann ist das wohl nicht steuerpflichtig. Aber ich bin kein ­Steuerjurist. Es gibt aber auch legalisierten Pfusch – zum Beispiel ein Baumarkt-Mit­arbeiter, der mir das Angebot unterbreitet: „Die Keramikdichtung für die Dusche, die Sie da kaufen wollen, die kann ich Ihnen gerne nach Feierabend einbauen." Das darf er machen. Das fällt unter Freundschaftsdienst.

Pfusch ist ein ­junges Phänomen

Der Pfusch nimmt in Österreich seit einigen Jahren kontinuierlich ab. Sie prognostizieren für heuer einen weiteren Rückgang um rund 5 Prozent auf voraussichtlich 22,9 Milliarden Euro. Was sind die Hintergründe?
Die Entwicklung der Konjunktur ist ein ­wesentlicher Treiber der Schwarzarbeit. Wenn’s den Leuten gut geht, wenn sie ­einen guten Job haben, wenn sie Über­stunden machen können, dann ist der ­Anreiz, schwarz zu arbeiten, gering. Wenn die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosen­zahlen niedrig sind, geht traditionell der Pfusch zurück.

Die 22,9 Milliarden Euro entsprechen rund 6 Prozent des Brutto­inlandprodukts (BIP). Ist das historisch betrachtet viel oder wenig? Wie hat sich die Schwarzarbeit in den vergangenen 100 Jahren entwickelt?
Betrachtet man die Zahlen seit den 1990er-Jahren, dann ist das ein mittlerer Wert. Historisch gesehen ist Pfusch ein ­junges Phänomen. In der k. u. k.-Zeit war es völlig fließend, was Pfusch war und was nicht. Regelungen entstanden erst durch die großen Betriebe in den Wiener Rand­bezirken, wo dann auch Versicherungs­leistungen dazukamen. Und dann Schritt für Schritt die Lohnsteuer eingeführt ­wurde. Eigentlich ging‘s mit dem Pfusch erst nach dem 2. Weltkrieg los – einher­gehend mit zunehmender Steuerlast und Abgaben. Der Hauptanstieg des Pfusches war in den 1970er- und 1980er-Jahren, bis in die 1990er-Jahre, weil da die Ab­gaben kontinuierlich erhöht wurden und auch die Regulierung stetig zugenommen hat. Schattenwirtschaft wird es immer geben, solange es Steuern und Regu­lierung gibt.

Wie viel Prozent des BIP an Schattenwirtschaft ist denn in Österreich noch verträglich, ins­besondere für den Sozialstaat?
Der Ökonom würde sagen: Es braucht eine optimale Größe des Pfusches. So, dass er den Leuten nützt und dem Staat nicht wehtut. Österreich ist in der EU das Land mit der geringsten Schattenwirtschaft. Aber natürlich, Steuereinnahmen und ­Abgaben fehlen, auch bei einem Pfusch­volumen wie dem unsrigen. Doch die ­Republik geht daran nicht zugrunde. Ganz anders sind zum Beispiel die 60 Prozent vom BIP von Peru zu bewerten. Da erodiert die Steuerbasis. Damit der Staat seine Infrastrukturaufgaben erfüllen kann, hat die Bekämpfung von Pfusch dort oberste ­Priorität.

Nur 2% würden Pfuscher anzeigen

Man sagt: Schwarzarbeit ist die Steuerflucht des kleinen Mannes. In welchen Branchen entgehen denn dem Fiskus die größten ­Einnahmen aufgrund von Schwarzarbeit?
Ich pflege es etwas anders zu sagen: Der Pfusch ist die Steuerrebellion des kleinen Mannes. Der größte Bereich ist Hausbau inklusive Reparatur – auf die Bereiche Baugewerbe und Handwerk entfallen 39 Prozent des Pfuschvolumens. Das sind fast 9 Milliarden Euro.

Wie könnte man Schwarzarbeit ­wirkungsvoller bekämpfen? Mit mehr Kontrollen, mit drakonischeren Strafen?
Wie wollen Sie denn bei uns den Pfusch bekämpfen? Wollen Sie in jeden Haushalt einen Polizisten stellen? Das funktioniert natürlich nicht. Natürlich sollten Gesetze eingehalten werden. Aber Strafen sehe ich als hochproblematisch. Da fehlt es in der Bevölkerung an Verständnis.

Stichwort Kavaliersdelikt?
Ja, das Pfuschen wird als Kavaliersdelikt ­gesehen. Laut meinen langjährigen Um­fragen von zwei Dritteln der Österreicher. Da kommt sonst nichts heran, nicht einmal „zu schnell fahren auf der Autobahn“ (48 Pro- zent). Nur 5 Prozent würden es gutheißen, wenn man Pfuschern mit hohen Geldstrafen bei­kommen will. Und nur 2 Prozent würden Pfuscher selbst anzeigen. Es fehlt das ­Unrechtsbewusstsein. Da bringen Strafen wenig. Es geht auch um die Vorbildwirkung des Staates bzw. ganz allgemein von „denen da oben“. Es gibt auch im staatsnahen Bereich Zustände, die man heftig kritisieren kann. Und wenn man das als kleiner Arbeiter dann so liest, dann kommt die nachvollziehbare Reaktion: „Die sind nicht redlich, warum soll ich es auf Punkt und Beistrich sein?“ Und dann pfuscht er halt.

Wie kann man dann Schwarzarbeit bekämpfen?
Wirkungsvoller wäre es, Anreize zu setzen, dass im Pfusch erbrachte Leistungen in die offizielle Wirtschaft wandern. Zwei Drittel der Pfusch-Wertschöpfung stammen von Pfuschern, die einen offiziellen Job haben. Man könnte doch sagen: Ein bei einer Firma angestellter Handwerker darf Kleinaufträge ganz legal annehmen, z.B. den Klassiker tropfender Wasserhahn. Und es wird nur die Unfall- bzw. sonstige Versicherungsleistung fällig. Ähnlich funktioniert das in Deutschland bei der sogenannten Mini-Job-Regelung. Der Faktor Arbeit ist der teuerste ­Produktionsfaktor, auch deshalb wird so viel gepfuscht. Vieles beim Thema Schwarz­arbeit ist aber ohnedies Gewohnheitssache, sodass auch im politischen Prozess eigentlich wenig dagegen gemacht wird.

Können Sie in ein paar einfachen Sätzen erklären, wie Sie zu Ihren Studienergebnissen kommen?
Der erste Forschungsstrang ist die Individualbefragung. Bei mir werden 1.100 Österreicherinnen und Österreicher befragt. Natürlich hat man keine Garantie, dass die Leute korrekt antworten. Aber es gibt schon Möglichkeiten, da muss man geschickt ­fragen. Bei der Erstellung des Interview­leitfadens habe ich mit Sozialpsychologen zusammengearbeitet. Je mehr Leute man befragt, desto höher auch die statistische Wahrscheinlichkeit, dass die Antworten in der Summe korrekt sind.
Der zweite Forschungsstrang sind statistische Rechen­modelle. Das bekannteste: Ich analysiere, wofür die Österreicher Bargeld ausgeben. Man kann herausrechnen, wie viel Bargeld für Schwarzarbeit gebraucht wird. So kommt man auf eine Wertschöpfungs- bzw. BIP-Ziffer vom Pfusch.

Woher rührt es, dass die Schwarz­arbeit bzw. Schattenwirtschaft in Österreich „Pfusch“ heißt? Haben Sie eine Erklärung?
Nein, so gut kenne ich mich in der Sprachwissenschaft leider nicht aus. Aber ich bin sehr unglücklich mit dem Wort, weil es ja eigentlich schlechte Dienstleistung heißt.

Zur Person: Prof. Friedrich Schneider

Der emeritierte Professor Friedrich Schneider (70) ist der wohl bekannteste und anerkannteste Schwarzarbeits-Forscher im deutschsprachigen Raum.

Seit Ende der 1970er-Jahre beschäftigt Schneider sich mit dem Phänomen Schattenwirtschaft, auch im Auftrag des Internationalen Währungsfonds: Für den IWF schätzt er das Pfuschvolumen von 160 Ländern. Im jährlich von der Tageszeitung FAZ durchgeführten Ranking der einflussreichsten Ökonomen des deutschsprachigen Raumes schafft Schneider es regelmäßig unter die Top 50 – meist als einziger an einer österreichischen Universität (Linz) forschender Wissenschaftler.

2014 belegte er sogar den 7. Rang. Seine Arbeit sei in Deutschland wohl anerkannter als in Österreich, sagte er einmal in einem Interview, "wahrscheinlich, weil ich zu kritisch und zu goschert bin“. Der passionierte Hobbykoch ist übrigens langjähriger KONSUMENT-Abonnent, wie er uns bei unserem Treffen verriet.

Leserreaktionen

Unkultur mit Handlungsbedarf

Das Interview mit Herrn Prof. Friedrich Schneider widerspricht meinen Erfahrungen und Wertvorstellungen, die ich hier kurz erläutern will. Dass Schwarzarbeit Teil unseres Lebens ist, sehe ich als Unkultur mit Handlungsbedarf. Auch andere „Kavaliersdelikte“ waren früher Teil unseres Lebens und sind heute undenkbar. Es bedarf eben einer Kulturänderung, auch durch Vorbildwirkung und Bestrafung.

Steuereinnahmen, Gemeinwesen, Kranken- und Pensionsversicherung, Qualitätsstandards und Haftungsregeln für Leistungen betrachte ich als Kulturleistungen, die gepflegt und weiterentwickelt werden müssen, um nicht verloren zu gehen. Fehlentwicklungen wie zu hohe Steuern auf Arbeitsleistung im Vergleich zu Kapital gehören korrigiert, aber formal für alle, nicht bloß informell für die Geschickten, die sich Schwarzarbeit „leisten“ können. Pfusch ist nicht die Steuerrebellion des kleinen Mannes. Gut Verdienende geben bestimmt mehr Geld für Schwarzarbeit aus als der gern politisch „missbrauchte“ kleine Mann. Die in Oberösterreich errichteten Einfamilienhäuser wären ohne Schwarzarbeit vielleicht kleiner, aber trotzdem da.

Dass Haushaltshilfen bezahlt, besteuert und vor allem versichert werden, wäre eine Kulturleistung, auch im Sinne von Frauenförderung. Die bisherigen „Anreize“, diese Leistungen in die offizielle Wirtschaft zu transferieren, sind dazu offenbar ungeeignet. Angemessener Lohn statt Trinkgeld wäre eine Kulturleistung. Das kann man in Ländern beobachten, wo Trinkgeld für die gleiche Leistung üblich oder unüblich ist. Gerade beim Bauen ist Pfusch tatsächlich oft eine schlechte Dienstleistung, da Qualitätsstandards nicht eingehalten werden und Gewährleistung Glücksache ist.

Monika Fiby
Wien
(aus KONSUMENT 4/2020)

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