Zum Inhalt

Verpackungen - Schluss mit Nippel durch die Lasche ziehen

Ohne Verpackung geht gar nichts. Doch Behälter, die schwer aufzukriegen sind, machen vielen das Leben schwer. Eine technische Richtlinie soll das jetzt ändern.

Der Kampf mit den Verpackungen (Bild: Klaus Pitter) 

Wir kennen ihn alle, den Ärger, der uns bisweilen beim Öffnen einer Verpackung überfällt – vom Schraubdeckel, der sich trotz ­brachialer Gewalt keinen Millimeter bewegt, über die Folienlasche, die beim Aufziehen abreißt, bis hin zur Perforation, die sich mit dem Fingernagel einfach nicht durchdrücken lässt. Dass derlei Produktumhüllungen alles andere als kundenfreundlich und somit für Konsumenten ein guter Grund sind, beim nächsten Einkauf zur Konkurrenzware zu greifen, ist vielen Herstellern mittlerweile bewusst.

Richtlinie für leichtes Öffnen

Um Kundenärger zukünftig zu vermeiden, stellt das Austrian Standards Institute den Unternehmen nunmehr eine technische Richtlinie zur Verfügung: Die ONR CEN/TS 15945 beschreibt ein Verfahren, mit dem sich prüfen lässt, ob eine Verpackung von der Mehrheit der Verbraucher leicht geöffnet werden kann. Dabei wird berücksichtigt, dass mit zunehmendem Alter nicht nur Sehleis­tung und motorische Geschicklichkeit nachlassen, sondern auch die Kraft der Hände schwindet. Als Tester wird deshalb die Generation 65+ herangezogen, denn wenn sie mit einem Öffnungsmechanismus gut ­zurechtkommt, tun sich damit automatisch auch jüngere Menschen leichter.

Maßgeblich beteiligt an der Entwicklung ­dieser Vorstufe zur Europäischen Norm war der Direktor des Österreichischen Instituts für Verpackungswesen, Univ. Lektor Thomas Rieder. Wir haben ihn gefragt, warum sich das Bewusstsein für praktisches Handling von ­Verbraucherverpackungen bei etlichen Herstellern nur äußerst langsam durchsetzt.

Eine Verpackung muss viel leisten

"Eine Verpackung muss heute enorm viel ­leisten, angefangen von der eindeutigen ­Produktdeklaration bis hin zum Schutz des Inhalts vor Beschädigungen", gibt Rieder zu bedenken. Alle Anforderungen unter einen Hut zu bringen, gestaltet sich oft schwierig, denn die Beteiligten verfolgen mitunter gegensätzliche Ziele. Zum Beispiel bezüglich Werbung: Die Markenartikelindustrie hätte gerne möglichst breite Packerl, die im Regal optimal gesehen werden. Der Handel ist jedoch an möglichst schmalen Behältern inte­ressiert, um viele verschiedene Produkte auf begrenztem Raum anbieten zu können.

Sparen am Material, Sicherheit

Sparen am Material

Ebenfalls nicht ganz einfach ist es, die öffentliche Forderung nach gut recyclingfähigen Monomaterial-Verpackungen zu erfüllen. Rieder: "Neu entwickelte Verbundstoffe schützen verderbliche Güter häufig deutlich besser und kommen auch mit weniger Materialeinsatz aus. Dass sie also in Wahrheit Ressourcen schonen, ist leider schwer zu kommunizieren."

Generell würden österreichische und die meisten mitteleuropäischen Unternehmen seit geraumer Zeit auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit achten, wenn sie Verpackungen für ihre Produkte auswählen, sagt der Experte. Einige schießen seiner Meinung nach sogar übers Ziel hinaus. Manche verwenden nur ein einziges Material, das allerdings für überdimensionierte Hüllen. Andere reduzieren das Packmaterial stark, allerdings um den Preis erhöhter Schadensquoten.

Teilweise zu viel gespart

Seit den späten Achtzigerjahren sparen Pro­duzenten an der Verpackung – auch aus ­betriebswirtschaftlichen Gründen. Doch da ­dieser Prozess langsam und kontinuierlich ­verläuft, merken die Konsumenten kaum ­etwas davon. Thomas Rieder: "Mittlerweile sehe ich eher das Problem, dass insbeson­dere bei ­Verpackungen für gefährliche Güter die Ein­sparungen zu weit gehen und bei der Schutzfunktion nur noch ein geringer Sicherheits­polster vorhanden ist." Anders dagegen stelle sich die Sachlage bei vielen verschwenderisch verpackten Importprodukten aus asiatischen Ländern dar: Dort ist der Nachhaltigkeits­gedanke noch nicht wirklich angekommen.

Von der Sicherheit zur Hürde

Ein weiteres Problemfeld eröffnet sich beim Thema Kindersicherheit. Die Kleinen vor ­aggressiven Putzmitteln oder gefährlichen Medikamenten zu schützen und gleichzeitig die Verpackung für ältere oder kranke Menschen leicht handhabbar zu machen – diese Anforderungen schließen einander so gut wie aus. Für Rheumakranke sind etwa Dreh-­ Drück-Verschlüsse völlig ungeeignet. Auch lässt sich eine einfache Öffnungsmechanik oft nur schwer mit einem Originalitätsschutz kombinieren. Gerade im Lebensmittelbereich aber müssen – nach diversen Erpressungs­fällen – Behälter so gestaltet werden, dass unbemerkte Manipulationen nicht möglich sind.

Konsumenteninteressen

Mix aus verschiedenen Lösungen

Verpackungsexperte Thomas Rieder plädiert für einen Mix aus verpackungstechnischen Lösungen, gelebtem Verantwortungsgefühl und gesundem Menschenverstand. "Bei nicht wieder zu verschließenden Ver­packungen gibt es bereits brauchbare Möglichkeiten, die Kindersicherheit und gute Handhabung für Senioren vereinen. Wieder verschließbare Verpackungen mit kinder­sicheren Verschlüssen allerdings sind für ­Personen mit schwächerer Motorik kaum aufzukriegen."

Deshalb gehören Medikamente nicht in kindersichere Verpackungen, sondern vielmehr in die für den Nachwuchs unzugängliche Hausapotheke. In die Verantwortung der Hersteller wiederum fällt, das Verpackungsdesign von gefährlichen Stoffen so zu gestalten, dass keine Verwechslungs­gefahr mit Naschereien, Getränken oder ­anderen Produkten besteht, die das Interesse von Kinder­n wecken.

Konsumenteninteressen wahren

Stellt sich schließlich die Frage, wie eine gelungene Verpackung heute beschaffen sein soll. Die Antwort des Experten orientiert sich klar an Verbraucherinteressen. "Zunächst müssen die wichtigsten Produktinformationen für die Konsumenten deutlich und gut lesbar sein. Entscheidend hierbei sind eine Mindestschrift­größe und der Kontrast zwischen Schriftfarbe und Hintergrund", erläutert Rieder. "Weiters muss die Verpackung leicht zu öffnen und komfortabel zu handhaben sein. Außerdem wäre noch ein Zusatznutzen wie eine dichte Wiederverschließbarkeit oder die Möglichkeit zum Portionieren wünschenswert."

Nicht zu vergessen die Erfüllung der grund­legenden Schutzfunktionen, zu welchen auch die Gewährleistung von Haltbarkeitsfristen zählt. Außerdem die Einhaltung des Minimierungsgebotes: Die Hersteller sollten gerade so viel Verpackungsmaterial wie nötig ­verwenden, dessen Wiederverwertbarkeit sicherstellen und in der Produktion den Einsatz von Schwermetallen oder anderen Giftstoffen vermeiden, die aus der Verpackung in die Ware übergehen können.

Verbesserungspotential: Elektronik-Zubehör

Rieder ortet aber auch Verbesserungspotenzial, hauptsächlich bei Verpackungen von technischen Produkten. So seien die Um­hüllungen von EDV-, Audio- und Video­zubehör ohne Hilfs­mittel wie Schere oder Schraubenzieher – und dadurch mit erheb­lichem Verletzungsrisiko – oft nicht aufzu­bekommen. Vom Markt verschwinden sollten ferner jene Verpackungen, die viel Luft, aber wenig Ware enthalten.

Preis für vorbildliche Verpackung

Staatspreis: vorbildliche Verpackung

Der alle zwei Jahre vom Wirtschafts- und vom Lebensministerium vergebene Österreichische Staatspreis "Vorbildliche Ver­packung" zeichnet besonders gelungene Verpackungen und ideale Lösungen aus. ­Organisator ist das Institut für Verpackungswesen.

Hier die Sieger von 2009 und 2010:

Bild: Studio Wiedemann

Bild: Claudi Leutner

Die in der Gastronomie eingesetzten Mineralwasserflaschen von Gasteiner. Sie bestehen zu 50 Prozent aus Altglas, sind perfekt gestaltet und überzeugen durch einfache und praktische Handhabung. Ein Eimer aus Weißblech von Reichsfeld mit einem komfortablen Kunststofftragegriff. Das innovative Randprofil verhindert Verformungen im Deckelbereich.

Zusammenfassung

  • Kompromiss. Eine Verpackung, viele Anforderungen: Schutz vor Beschädi­gungen, eine klare Produktdeklaration, praktische Handhabung, Nachhaltigkeit des Materials und wirkungsvolles Marketing. Das lässt leider oft nur Kompromisslösungen zu.
  • Zumutung. Kindersichere Verschlüsse stellen für ältere oder kranke Menschen häufig eine unüberwindbare Hürde dar. Sagen Sie dem Hersteller Ihre Meinung, wenn Sie sich regelmäßig über eine schwer zu öffnende Verpackung ärgern.
  • Mogelpackung. Damit Sie nicht Luft anstelle von Ware kaufen, achten Sie am besten auf die Grundpreisauszeichnung am Verkaufsregal. Seien Sie besonders aufmerksam bei Süßigkeiten, Kosmetika und Waschmitteln.

Ihre Erfahrungen: schreiben Sie uns!

Haben Sie Ärger mit Verpackungen?

KONSUMENT sammelt Lesererfahrungen für weitere Beiträge zum Thema Verpackungen. Richten Sie Ihre Einsendungen (am besten mit Foto) an leserbriefe@konsument.at oder an Testmagazin KONSUMENT, Linke Wienzeile 18, 1060 Wien.

Eine Übersicht zu welchen Themen uns Erfahrungsberichte besonders willkommen sind, finden Sie unter: "Machen Sie mit".

Schreiben Sie auch in unseren Foren, wenn Sie gute Erfahrungen oder schlechte Erfahrungen gemacht haben.

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

Lebensmittel-Kontaktmaterialien: Prekäre Beziehung premium

Lebensmittel-Kontaktmaterialien: Prekäre Beziehung

Das Wissen über den sicheren Umgang mit Lebensmittelkontaktmaterialien hält sich in ­Grenzen. Dies zeigt eine von KONSUMENT in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage. Klare Vorgaben des Gesetzgebers sind notwendig.

Gefördert aus Mitteln des Sozialministeriums 

Sozialministerium

Zum Seitenanfang